18.01.2012

Psychisch kranke Straftäter dürfen von privaten Pflegekräften betreut werden

Zwar ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe "in der Regel" Beamten vorbehalten. Die Eingriffsgrundlage des § 5 Abs. 3 HessMVollzG, der Bedienstete auch privatisierter Maßregelvollzugseinrichtungen ermächtigt, bei Gefahr im Verzug vorläufig besondere Sicherungsmaßnahmen gegen einen im Maßregelvollzug Untergebrachten anzuordnen, ist aber dennoch mit dem GG vereinbar.

BVerfG 18.1.2011, 2 BvR 133/10
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist Maßregelvollzugspatient. Die Maßregelvollzugseinrichtung, in der er untergebracht ist, wurde im Jahr 2007 auf der Grundlage des § 2 S. 3 bis 6 des hessischen Maßregelvollzugsgesetzes in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt, deren Anteile teils beim Landeswohlfahrtsverband, teils bei einer weiteren GmbH liegen, die sich ihrerseits zu 100 % in der Hand des Landeswohlfahrtsverbandes befindet.

Das Land Hessen hat der gGmbH durch Beleihungsvertrag die Aufgabe übertragen, die als Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordneten Unterbringungen gem. § 61 Nr. 1 u. 2 StGB im eigenen Namen für das Land Hessen zu vollziehen und ihr die dazu erforderlichen hoheitlichen Befugnisse, einschließlich der Befugnis zu den nach dem HessMVollzG zulässigen Grundrechtseingriffen, verliehen.

Der Beschwerdeführer wurde nach einem aggressiven Ausbruch von Mitarbeitern der gGmbH ohne vorherige Information der Klinikleitung gewaltsam in Einschluss genommen. Er beantragte vor den Fachgerichten erfolglos die Feststellung, dass die Maßnahme rechtswidrig gewesen sei, weil nur Beamte einen solchen Grundrechtseingriff anordnen und durchführen dürften. Das BVerfG hat nun die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

Die Gründe:
Die Eingriffsgrundlage des § 5 Abs. 3 HessMVollzG, der Bedienstete auch privatisierter Maßregelvollzugseinrichtungen ermächtigt, bei Gefahr im Verzug vorläufig besondere Sicherungsmaßnahmen gegen einen im Maßregelvollzug Untergebrachten anzuordnen, ist mit dem GG vereinbar.

Zwar ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe "in der Regel" Beamten vorbehalten. Abweichungen von diesem Grundsatz müssen durch einen spezifischen, dem Sinn der Ausnahmemöglichkeit entsprechenden Ausnahmegrund gerechtfertigt sein. Sie können nicht allein mit dem fiskalischen Gesichtspunkt begründet werden, dass eine Aufgabenwahrnehmung durch Nichtbeamte den öffentlichen Haushalt entlasten würde. Allerdings kann berücksichtigt werden, ob eine Tätigkeit Besonderheiten aufweist, deretwegen Kosten und Sicherungsnutzen des Einsatzes von Berufsbeamten hier in einem anderen - deutlich ungünstigeren - als dem nach Art. 33 Abs. 4 GG im Regelfall vorauszusetzenden Verhältnis stehen.

Hieran gemessen konnte kein Verstoß gegen Art. 33 Abs. 4 GG festgestellt werden. Die gewählte Privatisierungslösung zielt vielmehr auf die Erhaltung des organisatorischen Verbundes der Maßregelvollzugseinrichtungen und der sonstigen bei den jeweiligen Trägern zusammengefassten psychiatrischen Einrichtungen. Die Erhaltung dieses Verbundes soll durch Synergieeffekte sowie verbesserte Personalgewinnungs-, Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten gerade der Qualität des Maßregelvollzuges zugute kommen. Die privaten Maßregelvollzugskliniken bleiben vollständig in der Hand eines öffentlichen Trägers, des Landeswohlfahrtsverbandes, und sind damit von erwerbswirtschaftlichen Motiven und Zwängen freigestellt. Für den bei Einsatz von Nichtbeamten im Maßregelvollzug nicht auszuschließenden Fall eines Streiks kann und muss die gebotene Vermeidung unverhältnismäßiger Beeinträchtigungen Dritter durch Notdienste sichergestellt werden.

§ 5 Abs. 3 HessMVollzG verstößt auch nicht gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die demokratische Legitimation hoheitlichen Handelns. Der Leiter der jeweiligen Einrichtung und die weiteren Ärzte mit Leitungsfunktion sind dadurch personell legitimiert, dass sie als Beschäftigte des Landeswohlfahrtsverbandes von einer öffentlichen Körperschaft bestellt werden. Die Anstellung der Bediensteten der privaten Maßregelvollzugseinrichtung steht dadurch in einem Legitimationszusammenhang, dass dem seinerseits personell legitimierten Leiter nach dem Beleihungsvertrag für die Stellenbesetzung ein Vorschlagsrecht zusteht und die Geschäftsführung der privaten Einrichtung an seine fachliche Beurteilung gebunden ist.

Linkhinweis:

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BVerfG PM Nr. 2 vom 18.1.2012
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