26.04.2011

Rechtsanwälte müssen bei fälschlich als nicht fristgebunden vorgelegten Fristsachen drohende Verfristungen selbst im Blick halten

Den Rechtsanwalt, dem aufgrund eines Büroversehens eine Fristsache als nicht fristgebunden vorgelegt wird, trifft ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist, wenn er sich nicht in angemessener Zeit durch einen Blick in die Akten wenigstens davon überzeugt, was zu tun ist und wie lange er sich mit der Bearbeitung Zeit lassen kann.

BGH 29.3.2011, VI ZB 25/10
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das LG wies die Klage mit Urteil vom 21.1.2010 ab. Dieses Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 25.1.2010 zugestellt. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22.2.2010, der per Fax am selben Tag und im Original am 24.2.2010 beim OLG eingegangen ist, legte die Klägerin Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 30.3.2010, eingegangen am selben Tag, begründete die Klägerin die Berufung und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.

Zur Begründung führte sie aus, die Versäumung der Frist beruhe darauf, dass die bisher sehr sorgfältig arbeitende und ordnungsgemäß überwachte Anwaltsgehilfin K entgegen ausdrücklicher Weisung, im Fristenkalender und in den Handakten sowohl die Berufungsfrist als auch die Berufungsbegründungsfrist jeweils nebst einwöchiger Vorfrist einzutragen, hinsichtlich der Berufungsbegründungsfrist allein die Vorfrist eingetragen und diese als normale Vorlagefrist behandelt habe. Dies habe dazu geführt, dass die Akte am Tage des Ablaufs der Vorfrist ohne den sonst üblichen auffälligen Vermerk "Fristsache" vorgelegt worden und die am Tage des Fristablaufs zu erfolgende Erinnerung unterblieben sei. Der Fristablauf sei erst am 29.3.2010 bemerkt worden, als der Prozessbevollmächtigte die Akte zur Hand genommen habe.

Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung der Klägerin als unzulässig. Die Klägerin müsse sich die von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumung zurechnen lassen. Die Sorgfalt eines Rechtsanwalts erfordere es, dass er sich auch in Sachen, die ihm als nicht fristgebunden vorgelegt würden, in angemessener Zeit durch einen Blick in die Akten wenigstens davon überzeuge, worum es sich handele und wie lange er sich mit der Bearbeitung Zeit lassen könne. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt (§ 233 ZPO).

Die Fristversäumung beruht nicht allein darauf, dass die Anwaltsgehilfin K für die Berufungsbegründungsfrist nur die Vorfrist im Fristenkalender vermerkt und diese Frist als eine lediglich gewöhnliche Frist behandelt hat, was zur Folge hatte, dass die Akten dem Prozessbevollmächtigten ohne äußere Kenntlichmachung als Fristsache vorgelegt wurden und dieser nicht ohne Weiteres erkennen konnte, dass die Bearbeitung fristgebunden war. Den Prozessbevollmächtigten trifft daran vielmehr, wie das OLG zutreffend angenommen hat, auch ein eigenes Verschulden.

Dieser hatte zwar keinen Anlass, sich noch am selben Tage der - wie es schien nicht fristgebundenen - Bearbeitung der ihm vorgelegten Akten zu widmen. Wie der Senat entschieden hat, trifft den Rechtsanwalt, dem aufgrund eines Büroversehens eine Fristsache als nicht fristgebunden vorgelegt wird, jedoch dann ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist, wenn er sich nicht in angemessener Zeit durch einen Blick in die Akten wenigstens davon überzeugt, was zu tun ist und wie lange er sich mit der Bearbeitung Zeit lassen kann. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.

Hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, wie es geboten war, innerhalb einer Woche einen Blick in die Akten geworfen, hätte er unschwer feststellen können, dass bis zum 25.3.2010 eine Berufungsbegründung einzureichen war. Es geht daher hier nicht, wie die Rechtsbeschwerde meint, um die Frage, ob der Rechtsanwalt bei jeder Vorlage der Akten eigenverantwortlich prüfen muss, ob das Büropersonal die Rechtsmittelfristen zutreffend notiert hat.

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