Rechtsstreit um den Innenausgleich zweier rechtskräftig als Gesamtschuldner verurteilter Streitgenossen
BGH v. 20.11.2018 - VI ZR 394/17Der Kläger nimmt den Beklagten im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs in Anspruch. Der Kläger ist Haftpflichtversicherer der S. Krankenhaus gGmbH, die eine Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik betreibt. Im Jahr 2006 befand sich der damals 13-jährige Beklagte als Patient in diesem Krankenhaus. Während eines Ferienaufenthalts seiner Therapiegruppe vergewaltigte er einen ebenfalls minderjährigen Mitpatienten (Geschädigter), der gemeinsam mit dem Beklagten in einem Zimmer untergebracht worden war. Auf Klage des Geschädigten wurden der Beklagte und die Klinik vom LG Mühlhausen gesamtschuldnerisch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 4.000 € verurteilt; das Urteil ist rechtskräftig. In den Entscheidungsgründen dieses Urteils heißt es u.a.:
"Der Beklagte hat den Vorfall eingeräumt. Er hat die körperliche Integrität des Klägers beeinträchtigt und die Gesundheit des Klägers verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB). Der seinerzeit noch 13-jährige Beklagte handelte insoweit auch schuldhaft. Dass er nach § 828 Abs. 3 BGB nicht verantwortlich wäre, ist nicht ersichtlich. Nach dieser Vorschrift ist ein Minderjähriger zwischen dem 11. und 18. Lebensjahr für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat, d.h. nach seiner individuellen Verstandesentwicklung nicht fähig wäre, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für die Folgen seines Tuns bewusst zu sein (sog. intellektuelle Einsichtsfähigkeit). Diese Einsichtsfähigkeit wird widerleglich vermutet; ihr Mangel ist vom Minderjährigen zu behaupten und ggf. zu beweisen. Diese Behauptung, die im Schriftsatz vom 09.5.2008 aufgestellt worden ist, war nicht haltbar. Im Rahmen der Anhörung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung hat er unumwunden eingeräumt, dass es ihm klar war, mit anderen Menschen nicht so - wie geschehen - umgehen zu dürfen."
Der Kläger erfüllte den titulierten Anspruch. In der Annahme, der Beklagte hafte für den dem Geschädigten zustehenden Schadensersatz im Innenverhältnis zur Klinik alleine, nimmt ihn der Kläger als Haftpflichtversicherer der Klinik aus nach § 86 VVG übergegangenem Recht auf Ersatz von 4.000 € (Erstattung Schmerzensgeld) und weiteren rd. 450 € (Erstattung im Vorprozess aufgewendeter Rechtsanwaltskosten) nebst Zinsen in Anspruch. Zudem verlangt er die Feststellung, der Anspruch resultiere aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung.
Das AG wies die Klage ab; das LG gab ihr statt. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.
Die Gründe:
Die Feststellungen des LG tragen dessen Beurteilung nicht, der Beklagte sei dem Kläger zum Ausgleich verpflichtet.
Der Kläger stützt seinen Klageantrag primär auf nach § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB vom Geschädigten auf die Klinik und nach § 86 Abs. 1 VVG von der Klinik auf ihn übergangene Schadensersatzansprüche des Geschädigten. Solche Ansprüche können vorliegend aber schon deshalb nicht bejaht werden, weil das LG keine Feststellungen zum Bestehen eines - für den Anspruchsübergang gem. § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen - Gesamtschuldverhältnisses zwischen dem Beklagten und der Klinik getroffen hat. Das LG war der Auffassung, im vorliegenden Verfahren an das rechtskräftige Urteil des LG Mühlhausen im Vorprozess auch insoweit gebunden zu sein, als dort "mit Rechtskraft für und gegen die Parteien festgestellt" worden sei, dass der Beklagte schuldhaft gehandelt habe und nicht ersichtlich sei, dass ihm nach § 828 Abs. 3 BGB die Verantwortlichkeit fehle. Das ist unzutreffend; die vom LG angenommene Bindung besteht nicht.
Anders als das LG meint, folgt diese Bindung nicht aus § 325 Abs. 1 ZPO. Sie scheitert bereits an den subjektiven Grenzen der Rechtskraft. Nach § 325 Abs. 1 ZPO wirkt ein rechtskräftiges Urteil grundsätzlich nur für und gegen die Parteien und deren Rechtsnachfolger. Nimmt der Kläger mehrere Beklagte im Wege subjektiver Klagehäufung in Anspruch und sind die Beklagten einfache Streitgenossen, so ist dabei auf die einzelnen Prozessrechtsverhältnisse abzustellen. Zwischen den Streitgenossen entfaltet das Urteil mithin keine Rechtskraftwirkung.
Werden also - wie hier - zwei einfache Streitgenossen als Gesamtschuldner rechtskräftig zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, so steht ihre Haftung zwar im Verhältnis zum Gläubiger, nicht aber zwischen den Streitgenossen selbst fest. Jedem der im Vorprozess rechtskräftig als Gesamtschuldner verurteilten Streitgenossen bleibt im nachfolgenden Rechtsstreit um den Innenausgleich damit die Möglichkeit, die im Vorprozess bejahte Verbindlichkeit dem Gläubiger gegenüber und damit auch das Bestehen eines Gesamtschuldverhältnisses überhaupt in Frage zu stellen.
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