06.05.2019

Rückwirkende Befreiung eines Syndikusrechtsanwaltes von der Rentenversicherungspflicht

Das Gericht folgt nicht der Ansicht, dass es sich bei den im Gesetz bezeichneten einkommensbezogenen Beiträgen um Beiträge aus der zu befreienden Beschäftigung selbst handeln muss. Dafür spricht weder der Wortlaut der Norm noch der systematische Zusammenhang mit den S. 1 bis 3 und 5 des § 231 Abs. 4b SGB VI.

SG Münster v. 30.10.2018 - S 14 R 450/18
Der Sachverhalt:
Der Kläger (Jahrgang 1982) ist seit Ende 2009 Mitglied der Rechtsanwaltskammer Hamm und Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Lande NRW. Seit April 2012 ist er bei seinem jetzigen Arbeitgeber, einer Versicherung, als Volljurist in der Schadensbearbeitung tätig.

Die Beklagte hatte eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht (§ 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Die dagegen erhobene Klage (Az. S 4 R 676/14 SG Münster, nach Wiederaufnahme S 4 R 555/18) ist am 21.8.2018 zurückgenommen worden. Nach Rechtsänderung – Inkrafttreten der Absätze 4a bis 4d des § 231 SGB VI mit Wirkung ab 1.1.2016 durch Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015 beantragte der Kläger Befreiung nach neuem Recht rückwirkend am 23.3.2016.

Mit Bescheid vom 1.3.2018 sprach die Beklagte die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht aus mit Wirkung ab 23.03.2016. Mit weiterem Bescheid vom 4.4.2018 sprach sie eine Befreiung aus auch für die Zeit vom 1.4.2014 bis 22.3.2016. Mit dem dritten Bescheid vom 5.4.2018 lehnte sie ausdrücklich eine Befreiung ab für die Zeit vom 1.4.2012 bis 31.3.2014, zugleich versagte sie die Erstattung der zu ihr entrichteten Beiträge an das Versorgungswerk. Zur Begründung verneint die Beklagte insbesondere das Tatbestandselement der Einkommensbezogenheit der zum Versorgungswerk entrichteten Pflichtbeiträge (§ 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI).

Das SG gab der hiergegen gerichteten Klage statt.

Die Gründe:
Die Voraussetzungen für eine Befreiung auch für Zeiten vor dem 1.4.2014 sind gegeben. Die Voraussetzung des § 231 Abs. 4b Satz 5 SGB VI ist deshalb erfüllt, weil das Verfahren, in dem sich der Kläger gegen die Versagung der Befreiung nach altem Recht wandte, letztlich erst durch die Klagerücknahme am 21.8.2018, also nach dem im Gesetz genannten Stichtag, beendet worden ist, erst zu diesem Zeitpunkt ist die Ablehnung bestandskräftig geworden. Die Ausschlussfrist des § 231 Abs. 4b S. 6 SGB VI ist gewahrt.

Zwischen den Beteiligten war insbesondere streitig, ob die Mindestbeiträge, die der Kläger im hier zu beurteilenden Zeitraum vom 1.4.2012 bis 31.3.2014 an das Versorgungswerk gezahlt hatte, einkommensbezogene Pflichtbeiträge darstellten. Das Gericht bejaht dies. Denn die Beklagte hat hier den Begriff einkommensbezogener Pflichtbeiträge verkannt, insbesondere soweit sie diese auf einkommensabhängige Beiträge beschränkte, die das Gesetz nach seinem Wortlaut allerdings nicht verlangt; insbesondere werden keine Beitragsleistungen vorausgesetzt, die den Beitragsleistungen des SGB VI nach Art und Höhe direkt entsprechen müssen.

Das Gericht geht bei dieser Bewertung von der Regelung der Beiträge in § 30 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Lande NRW aus. Nach der dort gegebenen differenzierten Regelung sind Mitglieder zunächst verpflichtet, einen Beitrag zu zahlen, der mit dem Höchstbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung übereinstimmt (Abs. 1). Mitglieder, deren Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze nicht erreicht, zahlen einen Beitrag nach ihrem Einkommen entsprechend dem Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung (Abs. 2). Als Mindestbeitrag ist ein Beitrag i.H.v. 10 % des Regelpflichtbeitrages, also des Beitrages nach Abs. 1 zu leisten (Abs. 3). Mitglieder, die als abhängig Beschäftigte Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichten, leisten für ihre Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk, soweit diese Einkünfte zusammen mit dem Arbeitsentgelt die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigen, bleiben sie unberücksichtigt, die Mindestbeitragsregelung des Abs. 3 bleibt unberührt (Abs. 7).

Das Gericht erkennt in der vorstehend wiedergegebenen Regelung eine eigenständige, differenzierte, wenn auch nicht dem System der gesetzlichen Rentenversicherung voll entsprechende Normierung von Beitragspflichten. Einkommens-bezogenheit ist nach den Abs. 1 und 2 in ähnlicher Weise wie in der gesetzlichen Rentenversicherung gegeben bis zu einer Obergrenze. Soweit Beitragslasten begrenzt werden, wenn bereits Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet wurden, entspricht dies Überlegungen, dies aus Sicht des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung als nachvollziehbar bezeichnet werden können, weil auf diese Weise die Absicherung bzw. die Beitragsbelastung auf eine Größe etwas über der Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung begrenzt wird.

Diese Begrenzung stellt aus Sicht des Gerichts die Einkommensbezogenheit der Beitragsbelastung nicht in Frage, zumal auch die gesetzliche Rentenversicherung mit der Beitragsbemessungsgrenze des § 159 SGB VI eine entsprechende Regelung kennt. Soweit dadurch  zunächst – nur eine geringe Absicherung im Versorgungssystem des Versorgungswerks erlangt wird, erscheint dies nicht problematisch, zu Recht weist bereits das BVerfG in seinem Beschluss vom 22.7.2016, Az. 1 BvR 2534/14 darauf hin, dass dies im Rahmen des § 286f SGB VI durch den internen Ausgleich zwischen Rentenversicherung und Versorgungswerk korrigiert wird.

Das Gericht vermag der Beklagten nicht darin zu folgen, dass es sich bei den im Gesetz so bezeichneten einkommensbezogenen Beiträgen um Beiträge aus der zu befreienden Beschäftigung selbst handeln muss. Dafür spricht zunächst schon nicht der Wortlaut der Norm, der diese Einschränkung nicht vorgibt, indem er von Beiträgen "für diese Zeiten", nicht aber von Beiträgen "für diese Beschäftigung" spricht. Auch aus dem systematischen Zusammenhang mit den S. 1 bis 3 und 5 des § 231 Abs. 4b SGB VI ergibt sich dies nicht.

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