09.07.2019

Rückwirkende Befreiung von Rentenversicherungspflicht - einkommensbezogene Pflichtbeiträge

Nach Wortlaut des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die (weitere) rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht in "Abhängigkeit" zum konkreten Einkommen der zu befreienden Person stehen muss. Vielmehr können als "einkommensbezogene" Pflichtbeiträge auch Mindestbeiträge erfasst werden, die i.d.S. "einkommensbezogen" sind, dass sie unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung aus den Bruttolöhnen und -gehältern der Arbeitnehmer ermittelt werden.

LSG Berlin-Brandenburg v. 10.4.2019 - L 16 R 255/18
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Rechtsanwalt und seit Dezember 1999 kraft Gesetzes Mitglied des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte in Berlin (VWR-B). Im September 2013 hatte er für seine ab Oktober 2013 beginnende Tätigkeit als Geschäftsführer einer GmbH bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI beantragt.

Im Januar 2014 wies das VWR-B den Kläger unter Übersendung des Beitragsbescheides vom selben Tag darauf hin, dass er mangels einer Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht ab Oktober 2013 (nur) den Mindestbeitrag nach § 30 Abs. 1 der Satzung des VWR-B i.H. von einem Zehntel des höchsten Beitrags in der allgemeinen Rentenversicherung zu zahlen habe. Sofern eine Befreiung noch erfolge, werde der Beitragsbescheid von Amts wegen aufgehoben und die Beitragspflicht richte sich nach § 30 Abs. 7 der Satzung (Beitragszahlung aus Anstellung). Im 3. Quartal 2013 entrichtete der Kläger die im Beitragsbescheid festgesetzten monatlichen Mindestbeiträge. Im 1. Quartal 2014 leistete er entsprechend der Anpassungsmitteilung des VWR-B monatliche Mindestbeiträge.

Die Beklagte lehnte den Befreiungsantrag ab. Die hiergegen gerichtete Klage (Az.: S 97 R 2303/15 = S 97 R 2900/16 WA) ist noch vor dem SG anhängig. Im März 2016 beantragte der Kläger für seine Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als Syndikusrechtsanwalt (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Gleichzeitig stellte er einen Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 231 Abs. 4b SGB VI) und einen Antrag auf Erstattung zur Unrecht gezahlter Pflichtbeiträge an die berufsständige Versorgungseinrichtung.

Am 11.10.2016 ließ die Rechtsanwaltskammer Berlin den Kläger für sein Arbeitsverhältnis in der GmbH als Syndikusrechtsanwalt zu. Mit Bescheid vom 24.11.2016 befreite die Beklagte den Kläger für diese Tätigkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 19.10.2016. Den Antrag des Klägers auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die während der Zeit vom 1.10.2013 bis 31.3.2014 ausgeübte Beschäftigung als Geschäftsführer der GmbH lehnte sie allerdings ab, denn der Kläger habe in diesem Zeitraum keine einkommensbezogenen Pflichtbeiträge an ein berufsständiges Versorgungswerk gezahlt, wie es § 231 Abs. 4b SGB VI vorschreibe.

Mit Bescheid vom 22.12.2016 befreite die Beklagte den Kläger für seine Tätigkeit bei der GmbH von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung rückwirkend für die Zeit vom 1.4.2014 bis 18.10.2016. Auf die hiergegen erhobene Klage hat das SG die Beklagte verurteilt, den Kläger auch für die Zeit vom 1.10.2013 bis zum 31.3.2014 von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI für die Beschäftigung bei der GmbH zu befreien. Die Berufung der Beklagten blieb vor dem LSG ohne Erfolg.

Die Gründe:
Das SG hat die Rechtsgrundlagen für die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht der gesetzlichen Rentenversicherung für die Tätigkeit des Klägers als Syndikusrechtsanwalt bei der GmbH zutreffend dargelegt und festgestellt, dass diese Voraussetzungen vorliegen, da u.a. für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk i.S.d. § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI gezahlt wurden.

Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen: Das BVerfG hat im Nichtannahmebeschluss vom 22.7.2016 - 1 BvR 2534/14 - überzeugend dargelegt, dass auch die nach § 30 Abs. 3 der Satzung des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte in NRW vorgesehenen Mindestbeiträge i.H.v. einem Zehntel des Höchstbeitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung einkommensbezogene Pflichtbeiträge i.S.v. § 231 Abs. 4b SGB VI sind. Der Kläger hat unstreitig auf der Grundlage der Satzung des VWR-B ebenfalls Mindestbeiträge i.H. eines Zehntels des Höchstbeitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung im streitbefangenen Zeitraum vom 1.10.2013 bis 31.3.2014 entrichtet.

Das BVerfG hat insbesondere darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber - mit Ausnahme der hier nicht einschlägigen Ausnahme einer eingetretenen Bestandskraft - einen umfassenden Vertrauens- und Bestandschutz einräumen wollte. Die von der Beklagten befürchtete nicht vollwertige Absicherung kann durch einen Ausgleich nach § 286f Satz 1 SGB VI abgewendet werden. Soweit das Bayerische LSG im Urteil vom 7.2.2019 - L 14 R 264/18 - ausführt, die "Einkommensabhängigkeit" im Rahmen der Tatbestandsmerkmale "einkommensabhängige Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt" verlange bereits intrinsisch eine Korrelation der Beiträge mit dem jeweiligen Einkommen aus dem Beschäftigungsverhältnis als Syndikusrechtsanwalt, folgt der Senat dieser Auffassung nicht.

Nach dem Wortlaut des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die (weitere) rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht in "Abhängigkeit" zum konkreten Einkommen der zu befreienden Person stehen muss, vielmehr können als "einkommensbezogene" Pflichtbeiträge auch Mindestbeiträge erfasst werden, welche - wie hier - in dem Sinne "einkommensbezogen" sind, dass sie unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung aus den Bruttolöhnen und -gehältern der Arbeitnehmer (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) ermittelt werden (vgl. § 159 SGB VI). Auch nach Sinn und Zweck dieser Übergangsvorschrift - wie er vom BVerfG überzeugend dargelegt worden ist - genügt die Zahlung eines am Höchstbeitrag in der allgemeinen Rentenversicherung orientierten Mindestbeitrages den Voraussetzungen des § 231 Abs. 4b SGB VI.

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