Schmerzensgeld ist nun auch für Verletzungen bei rechtmäßigen Behördenmaßnahmen möglich
BGH 7.9.2017, III ZR 71/17Im Oktober 2010 war aus einem fahrenden PKW ein Schuss auf ein Döner-Restaurant in einem hessischen Ort abgegeben worden. Im Zuge der daraufhin eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen entdeckte eine Polizeistreife auf einem Tankstellengelände das mutmaßliche Tatfahrzeug. Der Kläger befand sich zusammen mit einem Mitarbeiter im Verkaufsraum der Tankstelle. Weil auch die grobe Personenbeschreibung der Täter auf den Kläger und seinen Begleiter passte, gingen die Polizeibeamten davon aus, dass es sich bei ihnen um die Tatverdächtigen handele.
Nachdem eine weitere Streifenwagenbesatzung zur Verstärkung eingetroffen war, liefen die Polizeibeamten in den Tankstellenverkaufsraum. Da sie vermuteten, der Kläger und dessen Mitarbeiter führten eine Schusswaffe mit sich, forderten sie zur Eigensicherung beide auf, die Hände hoch zu nehmen, brachten sie zu Boden und legten ihnen Handschellen an. Dabei erlitt der Kläger eine Schulterverletzung. Kurz darauf stellte sich heraus, dass er und sein Mitarbeiter mit der Schussabgabe nichts zu tun hatten. Infolgedessen wurden ihnen die Handfesseln abgenommen. Der Kläger verlangte Schmerzensgeld und Ersatz des aufgrund der Verletzung erlittenen Vermögensschadens.
LG Und OLG gingen davon aus, dass die Polizeibeamten angesichts der Sachlage, die sich ihnen dargeboten habe, zwar rechtmäßig unmittelbaren Zwang zur Durchsetzung einer Identitätsfeststellung gem. § 163b Abs. 1 StPO angewendet hätten. Allerdings sei dem Kläger ein Entschädigungsanspruch aus Aufopferung zuzusprechen. Auf der Grundlage der bisherigen BGH-Rechtsprechung wurde dem Kläger dabei nur ein Ausgleich für den erlittenen materiellen Schaden zuerkannt. Die Schmerzensforderung wurde als unbegründet abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers war vor dem BGH erfolgreich.
Gründe:
Unter Aufgabe der früheren BGH-Rechtsprechung wird festgestellt, dass der Entschädigungsanspruch aus Aufopferung auch den Ausgleich immaterieller Schäden, mithin auch ein Schmerzensgeld, umfassen kann.
Der Senat hat in seiner früheren "Grundentscheidung" vom 13.2.1956 (Az.: III ZR 175/54) ausgeführt, dass aus der Gesamtbetrachtung der Rechtsordnung sich ergebe, dass Ersatz für immaterielle Schäden grundsätzlich nicht geschuldet werde. Nur in jeweils ausnahmsweise ausdrücklich gesetzlich normierten Fällen gebe es einen Ersatzanspruch auch für Nichtvermögensschäden. Eine entsprechende Bestimmung fehle für den allgemeinen Aufopferungsanspruch, der sich gewohnheitsrechtlich aus §§ 74, 75 der Einleitung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten vom 1.6.1794 entwickelt habe.
Allerdings kann von einem Willen des Gesetzgebers, die Ersatzpflicht bei Eingriffen in immaterielle Rechtsgüter grundsätzlich auf daraus folgende Vermögensschäden zu beschränken, nicht mehr ausgegangen werden. Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.7.2002 (BGBl. I S. 2674) und der hierdurch bewirkten Ausweitung des Schmerzensgeldanspruchs infolge der Änderung des § 253 BGB hat der Gesetzgeber den Grundsatz, auf den der Senat sein Urteil vom 13.2.1956 gestützt hatte, verlassen. Dies ergibt sich auch aus der Änderung der Vorschriften über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen im Jahr 1971, nach denen für zu Unrecht erlittene Haft eine Entschädigung auch für Nichtvermögensschäden gewährt wird. Zudem haben mittlerweile eine Vielzahl von Bundesländern Bestimmungen eingeführt, nach denen Ersatz auch des immateriellen Schadens bei Verletzung des Körpers oder der Gesundheit infolge präventiv-polizeilicher Maßnahmen geschuldet wird.
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