26.04.2016

Schmerzensgeld nach Gesundheitsbeschädigung durch rechtswidrig ausgeführte Operation

Hat eine - mangels wirksamer Einwilligung - rechtswidrig ausgeführte Operation zu einer Gesundheitsbeschädigung des Patienten geführt, so ist es Sache der Behandlungsseite zu beweisen, dass der Patient ohne den rechtswidrig ausgeführten Eingriff dieselben Beschwerden haben würde, weil sich das Grundleiden in mindestens ähnlicher Weise ausgewirkt haben würde. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, wonach der Schädiger zu beweisen hat, dass sich ein hypothetischer Kausalverlauf bzw. eine Reserveursache ebenso ausgewirkt haben würde, wie der tatsächliche Geschehensablauf.

BGH 22.3.2016, VI ZR 467/14
Der Sachverhalt:
Die Kläger nehmen die Beklagte aus ererbtem Recht ihrer Tochter J im Wege der offenen Teilklage auf ein Schmerzensgeld i.H.v. 200.000 € sowie auf Schadensersatz, Feststellung und Ersatz vorgerichtlicher Kosten in Anspruch.

Bei der im April 2001 geborenen und im Mai 2013 während des Rechtsstreits verstorbenen J wurde noch im Jahr ihrer Geburt ein gutartiger Hirntumor festgestellt. Dieser wurde in der Neurochirurgischen Klinik der Beklagten operiert, konnte aber nicht vollständig entfernt werden. Postoperativ verblieb eine Hemiparese rechts. Nachdem sich J zunächst gut entwickelt hatte, stellte sich im September 2002 heraus, dass die zystischen Tumoranteile stark zugenommen hatten. Die Kläger holten Rat bei den Direktoren der Neurochirurgischen Kliniken der Universitäten Würzburg und Heidelberg ein. Beide hielten die weitreichende Entfernung des Tumors nicht für einen gangbaren Weg. Sie rieten, lediglich eine eventuelle Fensterung (Drainierung) der Zyste beim Voroperateur in Mainz durchführen zu lassen.

Im November 2002 kam es im Klinikum der Beklagten zu einer zweiten Operation durch den zwischenzeitlich verstorbenen Operateur. Der Operateur setzte sich über die von den Klägern erklärte Einwilligung, die nur die Fensterung der Zyste betraf, hinweg und beabsichtigte, den Tumor soweit wie möglich oder gar vollständig zu entfernen. Ein Operationsbericht existiert nicht. Der Tumor wurde vollständig entfernt. J erlitt durch die Operation schwere Nerven- und Gefäßverletzungen und litt bis zu ihrem Tod unter einer schweren Tetraplegie mit fast vollständiger Lähmung, Fehlstellungen der Hand- und Fußgelenke und einer Schluckstörung. Sie war blind und konnte nicht sprechen.

Das LG gab der Klage statt. Das OLG änderte das Urteil dahin ab, dass die Beklagte unter Aufrechterhaltung der Verurteilung zu Schadensersatz und Feststellung und unter Abweisung der Klage i.Ü. zur Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 50.000 € und entsprechend geringerer vorgerichtlicher Kosten verurteilt wurde. Auf die Revision der Kläger hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Mit der Begründung des OLG kann ein über die zuerkannten 50.000 € hinausgehender Schmerzensgeldanspruch nicht verneint werden, § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB.

Nach den Feststellungen des OLG ist die Entfernung des Tumors rechtswidrig, nämlich ohne die erforderliche Einwilligung der Kläger erfolgt. Das OLG hat ferner festgestellt, dass die postoperativ feststellbare apallische Schädigung der Tochter der Kläger kausal auf der Tumorresektion beruhte. Unter diesen Umständen durfte das OLG die Kläger nicht für verpflichtet halten, zudem darzulegen und zu beweisen, dass die geltend gemachten Schäden - die Operation hinweggedacht - nicht ohnehin aufgrund der Grunderkrankung ihrer Tochter eingetreten wären.

Hat eine rechtswidrig ausgeführte Operation zu einer Gesundheitsbeschädigung des Patienten geführt, so ist es Sache des beklagten Arztes zu beweisen, dass der Patient ohne den rechtswidrig ausgeführten Eingriff dieselben Beschwerden haben würde, weil sich das Grundleiden in mindestens ähnlicher Weise ausgewirkt haben würde. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, wonach der Schädiger zu beweisen hat, dass sich ein hypothetischer Kausalverlauf bzw. eine Reserveursache ebenso ausgewirkt haben würde, wie der tatsächliche Geschehensablauf.

Dies hat das OLG verkannt. Rechtsfehlerhaft hat es den Klägern den Beweis dafür auferlegt, dass eine Fensterung der Zyste nicht zu denselben Beeinträchtigungen geführt hätte, wie die tatsächlich durchgeführte rechtswidrige Operation. Richtigerweise trägt insoweit die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast. Das Berufungsurteil konnte daher keinen Bestand haben. Es war aufzuheben und mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Schmerzensgeldes und der geltend gemachten Nebenansprüche an das OLG zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 S. 1 ZPO).

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