Sittenwidriger Erbverzicht: Abfindung eines 18-Jährigen mit einem Sportwagen bei erfolgreichem Abschluss der Berufsausbildung
OLG Hamm 8.11.2016, 10 U 36/15Der Beklagte ist praktizierender Zahnarzt und geschäftlich aktiv. Der im Jahre 1995 geborene Kläger ist sein Sohn. Er wuchs bei seiner Mutter auf, nachdem die Ehe seiner Eltern 1997 geschieden worden war. Im Sommer 2013 verließ der Kläger vorzeitig die Schule, zog zum Beklagten und begann dort eine Ausbildung zum Zahntechniker. Etwa zu dieser Zeit erwarb der Beklagte für rd. 100.000 € einen Sportwagen Nissan GTR X, für den sich auch sein Sohn begeisterte. So erlaubte der Beklagte dem Kläger, das Fahrzeug einige Male selbst zu lenken, was den Kläger faszinierte.
Wenige Tage nach dem 18. Geburtstag des Klägers fuhr der Beklagte mit ihm zu einem Notar nach Paderborn. Dort vereinbarten die Beteiligten einen notariell beurkundeten, umfassenden Erb- und Pflichtteilsverzicht des Klägers beim Tode des Beklagten. Zur Abfindung sollte der Kläger nach Vollendung des 25. Lebensjahres den Sportwagen erhalten, sofern er bis dahin eine Ausbildung zum Zahntechnikergesellen und Zahntechnikermeister mit sehr gutem Ergebnis abgeschlossen haben sollte. Eine weitere Gegenleistung des Beklagten sah der notarielle Vertrag nicht vor.
Kurz nach der Beurkundung reute den Kläger der Vertragsschluss. Er brach seine Ausbildung in Detmold ab und kehrte zu seiner Mutter zurück. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Feststellung, dass der notarielle Vertrag sittenwidrig und damit nichtig sei.
Das LG gab der Klage statt. Die Berufung des Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Das LG hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der notarielle Vertrag mit dem umfassenden Erb- und Pflichtteilsverzicht sittenwidrig und damit nichtig ist. Den Erbverzicht und die Abfindung haben die Parteien in dem notariellen Vertrag als Geschäfte so verbunden, dass sie miteinander "stehen und fallen" sollten. Die Sittenwidrigkeit der Geschäfte folgt aus einer Gesamtwürdigung der dem Erbverzicht zugrundeliegenden Vereinbarungen der Parteien.
Bereits ihrem Inhalt nach weist die Abfindung ein erhebliches Ungleichgewicht zulasten des Klägers auf. Der umfassende Erbverzicht wurde mit sofortiger Wirkung und unbedingt vereinbart und er soll insbesondere unabhängig vom Eintritt der Bedingungen für die Gegenleistung gelten. Demgegenüber steht die Gegenleistung unter mehreren gemeinsam zu erfüllenden Bedingungen mit der Folge, dass der Beklagte den Erbverzicht unentgeltlich erlangt, wenn auch nur eine der Bedingungen für die Gegenleistung nicht eintritt. Bei der Bewertung der Gegenleistung ist zudem zu berücksichtigen, dass der Kläger das Fahrzeug erst im Alter von 25 Jahren erhalten soll und das Fahrzeug bis dahin aufgrund seines Alters erheblich an Wert verlieren wird.
Die Vorgabe der erfolgreich zu absolvierenden Ausbildung schränkt den Kläger außerdem in zu missbilligender Weise in der Wahl seines beruflichen Werdegangs ein. Eine Umorientierung lässt die Vereinbarung nicht zu. Darin ist eine knebelnde Wirkung zu sehen, die unzulässig in die Persönlichkeitsrechte des noch jugendlichen Klägers eingreift, der seine Ausbildung gerade erst begonnen hat. Verschärft wird der Druck noch dadurch, dass die Vertragsbedingungen zur Ausbildung nur bei Erreichen der Bestnote bei den Abschlussprüfungen erfüllt sein sollen.
Mit der Vertragsgestaltung, die auf einseitigen Vorgaben des Beklagten beruhte, wollte dieser seine Testierfreiheit mit einer verhältnismäßig geringen, vielleicht sogar ohne Abfindung erweitern. Seine Argumentation, er habe seinen Sohn zu einer zügigen und erfolgsorientierten Ausbildung motivieren wollen, ist vorgeschoben. Bei einer solchen Motivation hätte es genügt, dem Kläger das Fahrzeug beim Erreichen der Ausbildungsziele als Belohnung zu versprechen und den Erbverzicht ebenfalls an den Eintritt dieser Bedingung zu knüpfen.
Die Umstände des Vertragsabschlusses zeigen zudem, dass der geschäftsgewandte Beklagte die jugendliche Unerfahrenheit seines Sohnes zu seinem Vorteil ausgenutzt hat. So hat er sich die Begeisterung des Klägers für den Sportwagen zu Nutze gemacht und durch die Anschaffung des Fahrzeugs im Vorfeld des Vertrages noch gefördert. Der Beklagte hat zudem bewusst den Eintritt der Volljährigkeit seines Sohne abgewartet, wohlwissend, dass die Mutter dem Geschäft zuvor nicht zugestimmt hätte und es auch vom Familiengericht nicht genehmigt worden wäre. Mit der Wahl des Beurkundungstermins hat er dann den Eindruck erweckt, es handele sich um ein Geburtstagsgeschenk für den Kläger. Das war geeignet, dem Kläger eine Ablehnung des Angebotes emotional zu erschweren. In die Vorbereitung des Beurkundungstermins war der Kläger auch nicht einbezogen, einen Vertragsentwurf hat er zuvor nicht erhalten.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank NRW veröffentlicht.
- Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.