Sozialrechtliches Kopfteilprinzip im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren nicht anzuwenden
BGH 5.7.2018, VII ZB 40/17Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsansprüchen eines nichtehelichen minderjährigen Kindes des Schuldners, die gem. § 7 Abs. 1 UVG auf ihn übergegangen sind. Durch Beschluss des AG - Vollstreckungsgericht - von September 2016 wurden Lohnzahlungsansprüche des Schuldners gegen den Drittschuldner gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen.
Der Schuldner bewohnt mit seiner Ehefrau und einer gemeinsamen minderjährigen Tochter eine Mietwohnung, deren Warmmiete rd. 725 € mtl. beträgt. Gem. § 850d ZPO wurde zugunsten des Schuldners ein Pfändungsfreibetrag vom Nettoeinkommen i.H.v. 870 € mtl. sowie zur gleichmäßigen Befriedigung der Unterhaltsansprüche der Personen, die dem unterhaltsberechtigten nichtehelichen Kind gleichstehen, der hälftige Anteil des Nettoeinkommens festgesetzt, das nach Abzug des notwendigen Unterhalts des Schuldners verbleibt.
Auf Antrag des Schuldners setzte das AG den dem Schuldner verbleibenden Pfändungsfreibetrag vom Nettoeinkommen von 870 € auf rd. 945 € mtl. herauf. Hierbei brachte es den Mietanteil des Schuldners i.H.v. rd. 470 €, dies sind ca. 65 % der Mietkosten, in Ansatz, der der Höhe nach dem Anteil des Einkommens des Schuldners am Familieneinkommen entspricht (rd. 1.550 € Lohn von insgesamt rd. 2.400 € Familieneinkommen). Die vom Gläubiger hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde, mit der er geltend gemacht hat, zugunsten des Schuldners sei ein nach Kopfteilen zu bemessender Mietanteil i.H.v. rd. 240 € zu berücksichtigen, wonach sich ein Sockelbetrag für den Schuldner i.H.v. lediglich rd. 715 € ergebe, blieb vor dem LG ohne Erfolg.
Die Rechtsbeschwerde des Gläubigers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das LG hat dem Antrag des Schuldners, den ihm aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des AG gem. § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO mtl. pfandfrei zu belassenden Betrag auf rd. 945 € zu erhöhen, zu Recht stattgegeben.
Der unpfändbare notwendige Unterhalt des Schuldners i.S.d. § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO entspricht grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt i.S.d. 3. und 11. Kapitels des SGB XII. Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden nach konkretem Bedarf ersetzt, soweit sie nicht den angemessenen Umfang übersteigen. Die Angemessenheit der Aufwendungen ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten konkret zu ermitteln. Dabei ist vorrangig das ortsübliche Mietpreisniveau, wie es sich aus einem qualifizierten Mietspiegel (§ 558d BGB), einem Mietspiegel (§ 558c BGB) oder unmittelbar aus einer Mietdatenbank (§ 558e BGB) ableiten lässt, heranzuziehen.
In Fällen, in denen der Schuldner mit anderen Personen in einer Wohnung zusammenlebt und die von ihm aufgewendeten Kosten für Unterkunft und Heizung nicht nur seinen eigenen Wohnbedarf, sondern zugleich den Wohnbedarf dieser Personen decken, ist die Höhe des angemessenen Bedarfs des Schuldners für Unterkunft und Heizung fiktiv nach den Kosten zu ermitteln, die der Schuldner nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zur Deckung seines eigenen Wohnbedarfs aufwenden müsste. Zutreffend stellt das LG darauf ab, dass hierzu die fiktiv anfallenden Wohn- und Heizkosten für eine alleinstehende Person anzusetzen sind.
Die Aufwendungen des Schuldners für Unterkunft und Heizung sind in diesem Fall nicht nach dem sozialrechtlichen Kopfteilprinzip zu verteilen. Im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren findet das Kopfteilprinzip einschließlich der hiervon bestehenden Ausnahmen keine Anwendung. Es ist nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichts, Feststellungen dazu zu treffen, ob der Schuldner in einer Bedarfsgemeinschaft lebt und ob der Gesamtbedarf dieser Bedarfsgemeinschaft auch unter Berücksichtigung des Einkommens der mit dem Schuldner in dieser Gemeinschaft lebenden Personen nicht durch eigene Kräfte und Mittel gedeckt ist und ob Umstände vorliegen, die im Einzelfall eine Ausnahme vom Kopfteilprinzip rechtfertigen.
Der Schuldner wird durch die Unanwendbarkeit des sozialrechtlichen Kopfteilprinzips zur Bestimmung des ihm für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten zu belassenden Betrags i.S.d. § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO nicht in unzulässiger Weise begünstigt. Denn es steht grundsätzlich zur freien Disposition des Unterhaltspflichtigen, wie er die ihm zu belassenden, ohnehin knappen Mittel einsetzt. Diese Lebensgestaltungsautonomie kann dem Unterhaltsschuldner auch gegenüber von Unterhaltsansprüchen für ein minderjähriges Kind nicht verwehrt werden. Das LG hat von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet die nach den konkreten Umständen vom Schuldner als Einzelperson fiktiv aufzuwendenden Kosten der Unterkunft unter Berücksichtigung der ortsüblichen Vergleichsmiete i.H.v. rd. 470 € ermittelt. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
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