18.04.2013

Stichtagsregelung für die erbrechtliche Gleichstellung der vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder verfassungsgemäß

Die im Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetz vom 12.4.2011 enthaltene Stichtagsregelung ist verfassungsgemäß. Indem der Gesetzgeber entschieden hat, die vollständige erbrechtliche Gleichstellung der vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder auf Erbfälle ab dem 29.5.2009 zu beschränken, hat er seinen Spielraum bei der Gestaltung von Stichtags- und anderen Übergangsvorschriften nicht überschritten.

BVerfG 18.3.2013, 1 BvR 2436/11 u.a.
Hintergrund:
Nach der ursprünglichen Fassung des BGB stand nichtehelichen Kindern ein gesetzliches Erbrecht oder ein Pflichtteilsrecht nur gegenüber ihrer Mutter und den mütterlichen Verwandten zu. Ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen nichtehelichen Kindern und ihrem Vater bestand nicht. Die letztgenannte Regelung hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.7.1970 aufgehoben (Gesetz über die
rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder - NEhelG). Nach der Übergangsregelung des Art. 12 Nr. I § 10 NEhelG galt jedoch für die vor dem 1.7.1949 geborenen Kinder das alte Recht fort.

Das BVerfG hatte diese Übergangsregelung mehrfach zu überprüfen und hielt sie für noch verfassungsgemäß. Der EGMR sah hierin jedoch eine Verletzung von Art. 14 GG i.V.m. Art. 8 der EU-Menschenrechtskonvention. Der Gesetzgeber nahm dieses Urteil zum Anlass, die vorgenannte Übergangsregelung anzupassen (Zweites Erbrechtsgleichstellungsgesetz vom 12.4.2011 - ZwErbGleichG). Für Erbfälle vor dem 29.5.2009, bei denen der Nachlass nicht an den Staat gefallen war, blieb es jedoch beim Stichtag 1.7.1949.

Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer sind jeweils vor dem 1.7.1949 geborene nichteheliche Kinder. Sie machen Rechte aus Erbfällen vor dem 29.5.2009 geltend.

Im Verfahren 1 BvR 2436/11 begehrt der 1943 geborene Beschwerdeführer die Erteilung eines Alleinerbscheins. Er ist das einzige Kind des 2007 verstorbenen Erblassers, der die Vaterschaft im Jahr 1944 anerkannt hat. Sein Antrag blieb im Ausgangsverfahren in allen Instanzen erfolglos.

Im Verfahren 1 BvR 3155/11 macht der 1940 geborene Beschwerdeführer Pflichtteilsansprüche geltend. Der 2006 verstorbene Erblasser wurde zunächst 1941 und sodann nochmals 1949 zur Zahlung von Kindesunterhalt für den Beschwerdeführer verurteilt. Testamentarische Alleinerbin ist die Tochter des Erblassers aus einer späteren Ehe. Die gegen sie gerichtete Klage blieb im Ausgangsverfahren in allen Instanzen erfolglos.

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.

Die Gründe:
Die Verfassungsbeschwerden sind nicht begründet, da die Übergangsregelung des ZwErbGleichG verfassungsgemäß ist und ihre Anwendung durch die ordentlichen Gerichte in den vorliegenden Fällen von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist.

Der Prüfungsmaßstab ist in erster Linie aus Art. 6 Abs. 5 GG zu entnehmen. Dieses Grundrecht enthält eine Wertentscheidung, die der Gesetzgeber auch im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes zu beachten hat. Diese kann auch dann verfehlt werden, wenn die gesetzliche Regelung einzelne Gruppen nichtehelicher Kinder im Verhältnis zu anderen Gruppen schlechter stellt. Eine tatbestandliche Differenzierung innerhalb der Gruppe der nichtehelichen Kinder findet sich in der Neuregelung nicht mehr. Mit dem ZwErbGleichG wird primär nicht mehr nach einem persönlichen Merkmal - dem Geburtsdatum -, sondern nach einem zufälligen, von außen kommenden Ereignis - dem Datum des Erbfalls - differenziert, so dass die Ungleichbehandlung nunmehr von geringerer Intensität ist.

Die verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtags- und anderen Übergangsvorschriften muss sich auf die Frage beschränken, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die gefundene Lösung sich im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint. I.Ü. entspricht es der Rechtsprechung des BVerfG, dass der Gesetzgeber einen mit dem GG unvereinbaren Rechtszustand nicht rückwirkend beseitigen muss, wenn die Verfassungsrechtslage bisher nicht hinreichend geklärt war. Dies muss erst recht in einem Fall wie dem vorliegenden gelten, in dem die Verfassungsmäßigkeit der bisherigen Rechtslage mehrfach durch das BVerfG ausdrücklich bestätigt wurde.

Den hiernach eröffneten Spielraum hat der Gesetzgeber nicht überschritten. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, hat er im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens die für und gegen die getroffene Regelung sprechenden sachlichen Argumente sorgfältig abgewogen. Insbes. hat der Gesetzgeber grundsätzlich berücksichtigt, dass dem Schutz des Vertrauens der Väter nichtehelicher Kinder und deren erbberechtigter Familienangehörigen nach der Entscheidung des EGMR vom 28.5.2009 nicht mehr der gleiche Stellenwert zukommen konnte wie bisher angenommen. Allerdings müsse dann anderes gelten, wenn der Erbfall bereits eingetreten und damit das Vermögen des Erblassers bereits im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die nach geltendem Recht berufenen Erben übergegangen sei, da eine Entziehung dieser Rechtsstellung eine echte Rückwirkung bedeutet hätte, die verfassungsrechtlich nur in engen Ausnahmefällen möglich sei.

Der Gesetzgeber war auch nicht durch die Entscheidung des EGMR gehalten, eine weitergehende Rückwirkung vorzusehen. Die Auslegung und Anwendung der Übergangsregelung durch die ordentlichen Gerichte in den vorliegenden Fällen ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Gerichte aus verfassungsrechtlicher Sicht gehalten gewesen wären, die Neuregelung über ihren Wortlaut hinaus rückwirkend auf die Fälle der Beschwerdeführer anzuwenden. Ob eine solche teleologische Erweiterung in bestimmten Fällen, die in tatsächlicher Hinsicht dem durch den EGMR entschiedenen vergleichbar waren, in Betracht kommt, kann offen bleiben. Die Ausgangsverfahren bieten zur abschließenden Beantwortung dieser Frage keinen Anlass.

Linkhinweis:

  • Die Volltexte sind auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext der Entscheidung 1 BvR 2436/11 zu kommen, klicken Sie bitte hier.
  • Um direkt zum Volltext der Entscheidung 1 BvR 3155/11 zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BVerfG PM Nr. 26 vom 17.4.2013
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