Streit um Widerruf einer in einer Wohnungseigentümerversammlung getätigten Äußerung ist Wohnungseigentumssache
BGH 17.11.2016, V ZB 73/16Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Unterlassung und Widerruf von Äußerungen in Anspruch, die dieser im Rahmen einer Versammlung der Wohnungseigentümer getätigt hat.
Das AG wies die Klage ab. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers verwarf das LG Stade als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das LG Stade, hilfsweise an das LG Lüneburg begehrt, hob der BGH den Beschluss auf und verwies die Sache an das LG Lüneburg zurück.
Die Gründe:
Das LG Stade hat seine Zuständigkeit zu Recht verneint. Zuständig für die Entscheidung über die Berufung ist gem. § 72 Abs. 2 GVG das LG Lüneburg, weil der Streit der Parteien eine Wohnungseigentumssache i.S.v. § 43 Nr. 1 WEG ist.
Ob Streitigkeiten wegen unwahrer Tatsachenbehauptungen bzw. ehrverletzender Meinungsäußerungen Wohnungseigentumssachen sind, wird unterschiedlich beurteilt. Der Senat entscheidet die Frage dahin, dass eine Streitigkeit i.S.v. § 43 Nr. 1 WEG vorliegt, wenn ein Wohnungseigentümer von einem anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung bzw. auf Widerruf von Äußerungen in Anspruch genommen wird, die er in einer Wohnungseigentümerversammlung getätigt hat; es sei denn, ein Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer ist offensichtlich nicht gegeben. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor.
Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, weil die Berufung als unzulässig verworfen worden ist. Zwar kann eine Berufung bei Vorliegen einer Streitigkeit nach § 43 Nr. 1 WEG fristwahrend nur bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Berufungsgericht eingelegt werden. Eine bei dem falschen Berufungsgericht eingelegte Berufung, die nicht rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des richtigen Berufungsgerichts gelangt, kann grundsätzlich nicht in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO an dieses Gericht verwiesen werden. Sie ist vielmehr als unzulässig zu verwerfen. Das gilt aber nicht ausnahmslos.
Nach BGH-Rechtsprechung kann die Berufungsfrist in Ausnahmefällen auch durch Anrufung des funktionell unzuständigen Berufungsgerichts gewahrt und der Rechtsstreit entsprechend § 281 ZPO an das zuständige Gericht verwiesen werden. So verhält es sich, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit i.S.v. § 43 Nr. 1 bis 4 und Nr. 6 WEG vorliegt, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und man über deren Beantwortung - wie hier - mit guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein kann.
Einer Partei kann in einer solchen Konstellation nicht angesonnen werden, zur Meidung der Verwerfung ihres Rechtsmittels als unzulässig Berufung sowohl bei dem allgemein zuständigen Berufungsgericht einzulegen als auch bei dem des § 72 Abs. 2 GVG. Aus diesem Grund hätte das LG Stade gem. § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO darauf hinwirken müssen, dass der Kläger einen Antrag auf Verweisung an das zuständige LG Lüneburg in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO stellt.
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