Sturz bei Glätte: Unternehmen haftet wegen unterlassener Streukontrolle
AG München v. 8.8.2018 - 154 C 20100/17Die klagende 54-jährige Radfahrerin begehrt von der mit Räum- und Streupflichten befassten beklagten Unternehmerin aus Vaterstetten bei München Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. 3.000 € und Feststellung der Verpflichtung, der Klägerin auch alle künftigen Schäden aus einem Schadensereignis vom 3.3.2015 ersetzen zu müssen. Die Klägerin war am 3.3.2015 gegen 8 Uhr mit ihrem Fahrrad zum Einkaufen zu einem Supermarkt in Neukeferloh gefahren und unmittelbar vor dessen Radstellplatz gestürzt. Die Mindesttagestemperatur betrug in München an diesem Tag 0,4 Grad Celsius. Die Klägerin erlitt eine Fraktur des rechten Mittelfingers mit Kapselanriss. Nach sechswöchiger Ruhigstellung wurden 50 ergotherapeutische Behandlungen verordnet. Die Funktionsfähigkeit des Mittelfingers blieb dennoch um 3/10 beeinträchtigt, die der beiden Nachbarfinger um jeweils 1/10. Die Klägerin hat noch Schwierigkeiten beim Öffnen von Flaschen oder beim Händedruck und kann die fragliche Hand noch nicht wieder zur Faust ballen. Die weitere Entwicklung ist ungewiss.
Die Klägerin bestätigt, dass Straßen und Wege im Wesentlichen frei von Schnee und sonstigen Beeinträchtigungen gewesen seien. Es habe jedoch am Vortag geregnet und sei über Nacht sehr kalt gewesen, weshalb die Klägerin vorsichtig gefahren sei. Bei der Anfahrt des Fahrradstellplatzes in der Nähe des Eingangs des Supermarktes sei sie auf eine nicht erkennbare rd. drei mal drei Meter große Fläche überfrorener Nässe geraten. Es sei nicht gestreut gewesen. Hierdurch sei das Fahrrad der Klägerin weggerutscht und die Klägerin auf die Hand gestürzt.
Der Versicherung teilte die Beklagte mit, dass das Unternehmen am 3.3.2015 den Parkplatz nicht geräumt oder gestreut hätte. Man sei von der Gemeindeverwaltung, für die man ebenfalls Räum- und Streudienste ausführe, an diesem Tag nicht zum Einsatz gerufen worden, da Parkplätze und Wege schnee- und eisfrei gewesen wären und am Boden noch genügend Splitt vorhanden gewesen sei. In der Hauptverhandlung erklärte der Ehemann der Beklagten jedoch überraschend vor wenigen Monaten erfahren zu haben, dass doch ein Mitarbeiter morgens um 5 Uhr vor Ort kontrolliert habe. Jener konnte sich bei seiner Vernehmung zwar nicht mehr an eine Kontrolle am fraglichen Tag erinnern. Er erklärte, wie sein Arbeitgeber wisse, eigentlich immer frühmorgens zu kontrollieren.
Das AG gab der Klage statt. Das Urteil ist rechtskräftig.
Die Gründe:
Eine Rechtsgutsverletzung liegt durch die unstreitigen Verletzungen der Klägerin an dem rechten Mittelfinger vor. Diese ist durch die fahrlässige Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten entstanden. Die Verkehrssicherungspflicht, insbesondere der Winterdienst wurde unstreitig auf die Beklagte übertragen. Ihrer Verkehrssicherungspflicht ist die Beklagte nicht ausreichend nachgekommen.
In der Gesamtschau der glaubhaften Angaben der Klägerin, die die Beklagte nicht widerlegt hat, und der allgemeinen Mindesttemperatur in München von nur knapp über dem Gefrierpunkt, ist davon auszugehen, dass zum streitgegenständlichen Zeitpunkt an der streitgegenständlichen Stelle eine Glätte durch überfrierende Nässe vorlag. Angesichts der glaubhaften Angaben der Klägerin und der widersprüchlichen Angaben der Beklagtenpartei ist zudem davon auszugehen, dass am fraglichen Morgen nicht kontrolliert worden ist.
Die Beklagte wäre jedoch verpflichtet gewesen, an diesem Tag eine Kontrolle an dieser Stelle durchzuführen und bei Feststellung der Glättestelle zu streuen. Es handelt sich um ein Datum Anfang März. Zu dieser Zeit ist allgemein der Winter in München und Umgebung noch nicht vorbei. Es kann zu Schnee und Eisglätte kommen. Bei der konkreten Temperatur an diesem Tag war auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass es an einzelnen Stellen glatt sein kann. Die Beklagte, die den Winterdienst gewerblich ausübt, unterliegt im Vergleich mit privaten Anliegern schließlich auch erhöhten Sorgfaltspflichten.