Tiergefahr verwirklicht - Tierhalter haftet in vollem Umfang
OLG Oldenburg 8.11.2017, 9 U 48/17Die Klägerin war bei einem Bekannten in Osnabrück zur Feier seines 75. Geburtstages eingeladen. Dort lief ein Hund, den der Bekannte drei Wochen zuvor aus einem Tierheim in Rumänien mitgebracht hatte, frei herum. Als sich die Klägerin zu dem Hund heruntergebeugt hatte biss dieser ins Gesicht. Sie erlitt schmerzhafte Biss,- Riss- und Quetschwunden, musste notärztlich behandelt werden und wurde später mehrfach operiert.
Die Klägerin verlangte von ihrem Bekannten Schadensersatz. Dieser lehnte allerdings jede Verantwortung ab. Er war der Ansicht, die Klägerin hätte auf eigene Gefahr gehandelt. Schließlich habe sie den Hund begrüßt, obwohl ausdrücklich darum gebeten worden sei, dem Hund kein Leckerli zu geben und ihn nicht anzufassen. Sie treffe deshalb zumindest ein erhebliches Mitverschulden.
Das LG sprach der Klägerin vollen Schadensersatz zu. Das OLG hat diese Entscheidung bestätigt. Der Hundehalter hat nach einem entsprechenden Hinweis des Senats seine Berufung zurückgenommen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegenüber dem Hundehalter einen Anspruch auf Schadensersatz.
Mit dem plötzlichen Biss des Hundes hatte sich nämlich eine typische Tiergefahr verwirklicht. In einen solchen Fall muss der Tierhalter nur dann nicht haften, wenn sich jemand ohne triftigen Grund bewusst in eine Situation drohender Eigengefährdung begibt. Dies konnte im vorliegenden Fall allerdings nicht festgestellt werden. Denn nach der Beweisaufnahme stand fest, dass die Frau den Hund nicht gefüttert oder gestreichelt, sondern sich lediglich zu ihm heruntergebeugt hatte.
Angesichts der Tatsache, dass der Hund auf der Feier frei herumgelaufen war, hat die Klägerin nicht damit rechnen müssen, dass hierdurch bereits ein Beissreflex ausgelöst werden konnte. Schließlich darf ein Gast bei einem freilaufenden Haustier nach Treu und Glauben damit rechnen, dass dieses bei einem normalen Herunterbeugen nicht bereits zu einem Angriff gereizt wird.
Der Klägerin war auch kein Mitverschulden zuzurechnen. Denn wer einen Hund auf einer Feier frei herumlaufen lässt, kann sich nicht auf ein Mitverschulden eines Geschädigten berufen, wenn dieser bei der bloßen Zuwendung zu dem Tier gebissen wird. Es handelt sich nämlich um einen adäquaten Umgang mit einem Tier. Die bloße Warnung, den Hund nicht zu füttern und nicht zu streicheln, ändert nichts an dieser Beurteilung.