20.07.2017

Veräußerung von jungen Aktien nach Ausübung von Bezugsrechten aus sog. Altanteilen

Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns einer Aktie, die durch die Ausübung eines Bezugsrechts erworben wurde, das von einer vor dem 1.1. 2009 erworbenen und bereits steuerentstrickten Aktie abgespalten wurde, sind die Anschaffungskosten des Bezugsrechts entgegen der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG 2009 nicht mit 0 €, sondern in der tatsächlichen Höhe anzusetzen.

Kurzbesprechung
BFH v. 9.5. 2017 - VIII R 54/14

EStG 2009 § 20 Abs. 4a Satz 4, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 4 Satz 1, § 52a Abs. 10 Satz 1 und 10, Abs. 11 Satz 4
EStG 2002 § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2

Der Steuerpflichtige erwarb im Rahmen einer Kapitalerhöhung einer AG im Streitjahr (2010) junge Aktien der AG über die Ausübung von Bezugsrechten. Diese waren von Aktien abgespalten worden, die der Steuerpflichtige bereits vor dem 1.1. 2009 angeschafft hatte (sog. Altaktien). Die Anschaffungskosten der Bezugsrechte beliefen sich auf 7,20 € je Aktie. Noch im Streitjahr veräußerte der Steuerpflichtige zehn der jungen Aktien und erzielte einen Veräußerungserlös in Höhe von insgesamt 410,35 €. Nach der Bescheinigung der Bank über den Wertpapierverkauf belief sich der Veräußerungsgewinn, bei dessen Ermittlung der Wert der Bezugsrechte unberücksichtigt blieb, auf 58,15 €.

In der Einkommensteuererklärung für 2010 beantragte der Steuerpflichtige die Überprüfung des Steuereinbehalts für Kapitalerträge gemäß § 32d Abs. 4 EStG. Er erklärte Kapitalerträge in Höhe von insgesamt 135 €, darin enthalten war der Gewinn aus der Veräußerung der jungen Aktien in Höhe von 58 €. Die Summe der Kapitalerträge minderte er um die Anschaffungskosten der Bezugsrechte für die zehn Aktien der AG in Höhe von 72 € (10 x 7,20 €). Das FA ließ dagegen den Abzug der Anschaffungskosten der Bezugsrechte unter Hinweis auf § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG unberücksichtigt.

Der BFH entschied jedoch, dass im Streitfall bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns der jungen Aktien die Anschaffungskosten des Bezugsrechts entgegen der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG nicht mit 0 €, sondern mit 72 € zu berücksichtigen sind.

Zwar enthält der Wortlaut des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG keine eindeutige Regelung zur Bewertung des Bezugsrechts bei der Veräußerung von jungen Aktien. Der BFH geht jedoch mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum davon aus, dass die Einkünfteermittlungsvorschrift des § 20 Abs. 4a Sat  4 EStG auch bei der Veräußerung von jungen Aktien Anwendung findet, die aufgrund der Ausübung eines Bezugsrechts erworben wurden. Da die Ausübung von Bezugsrechten selbst nicht unter den Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG fällt und es somit nicht zu einer Gewinnermittlung nach § 20 Abs. 4 EStG kommen kann, ergibt die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG nur dann einen Sinn, wenn sie sich auf die Ermittlung des Gewinns aus einer späteren Veräußerung der durch Ausübung des Bezugsrechts erlangten Anteile bezieht.

Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung findet die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG jedoch keine Anwendung, wenn die veräußerten jungen Aktien aufgrund der Ausübung von Bezugsrechten erworben wurden, die von vor dem 1.1.2009 angeschafften Altanteilen abgespalten wurden, bei denen - wie im Streitfall - die Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der am 1.1. 1999 geltenden Fassung (EStG a.F.) zum Zeitpunkt der Veräußerung der jungen Aktien bereits abgelaufen war. In diesem Fall sind bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns die tatsächlichen Anschaffungskosten des Bezugsrechts zu berücksichtigen.

Zur Begründung verweist der BFH auf den Umstand, dass eine Kapitalerhöhung gegen Einlage hinsichtlich der bereits bestehenden Anteile zu einer Substanzabspaltung zugunsten der aufgrund der Bezugsrechte erworbenen neuen Anteile führt. Die Substanzabspaltung hat zur Folge, dass Anschaffungskosten der bereits bestehenden Anteile den neuen Anteilen zuzuordnen sind; entsprechend mindern sich die Anschaffungskosten der Altanteile (Gesamtwertmethode). Der Gesellschafter erhält danach durch die "Verwässerung" seiner Beteiligung aufgrund der Kapitalerhöhung keinen weiteren Wertzuwachs der stillen Reserven seiner Anteile.

Dies hat zur Folge, dass die Besteuerung der durch die Abspaltung von den Altanteilen auf die neuen Geschäftsanteile übergegangenen stillen Reserven nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. erfolgt, wenn die Altanteile vor dem 1.1.2009 angeschafft wurden (§ 52a Abs. 11 Satz 4 EStG). Waren die übergegangenen stillen Reserven aufgrund des Ablaufs der Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. nicht mehr steuerbar, dürfen sie nicht lediglich aufgrund der Kapitalerhöhung bei einer Weiterveräußerung der jungen Aktien erneut steuerverhaftet werden.

Dies wäre jedoch der Fall, wenn bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns der jungen Aktien die auf die Neuanteile übergegangenen Anschaffungskosten der Altanteile gemäß § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG mit 0 € angesetzt würden. Dagegen spricht, dass es sich bei der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG um eine Einkünfteermittlungsvorschrift handelt, die ein Besteuerungsrecht voraussetzt, jedoch kein Besteuerungsrecht für bereits steuerentstrickte Vermögenswerte begründet.

Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG auf Bezugsrechte, die aus vor dem 1.1.2009 angeschafften Aktien abgespalten wurden, hält der BFH auch aus verfassungsrechtlichen Gründen für geboten, da es dem Gesetzgeber verwehrt ist, rückwirkend auf bereits steuerentstrickte Vermögenspositionen zuzugreifen.

Da im Streitfall die veräußerten Aktien aufgrund der Ausübung von Bezugsrechten erworben wurden, die von vor dem 1.1.2009 erworbenen Aktien abgespalten wurden, bei denen die Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. bereits abgelaufen war, waren bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns aus dem Verkauf der jungen Aktien die Anschaffungskosten der Bezugsrechte entgegen der Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG nicht mit 0 €, sondern in der tatsächlichen Höhe von 72 € zu berücksichtigen.

BFH, Urteil vom 9.5.2017, VIII R 54/14, veröffentlicht am 19.7.2017

Verlag Dr. Otto Schmidt