21.10.2011

Verfassungsbeschwerde eines im Maßregelvollzug Untergebrachten gegen medizinische Zwangsbehandlung erfolgreich

Die Eingriffsermächtigung des § 8 Abs. 2 S. 2 UBG BW genügt nicht den vom BVerfG konkretisierten Maßstäben für die Zulässigkeit einer auf die Erreichung des Vollzugsziels gerichteten medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten. Insbesondere ist die medizinische Zwangsbehandlung des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels nach dieser Vorschrift nicht, wie verfassungsrechtlich geboten, auf die Fälle seiner krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit begrenzt.

BVerfG 12.10.2011, 2 BvR 633/11
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist seit dem Jahr 2005 im Maßregelvollzug untergebracht. Im Juni 2009 kündigte die Maßregelvollzugsklinik dem Beschwerdeführer an, dass er mit einem Neuroleptikum behandelt werden und diese Behandlung erforderlichenfalls auch gegen seinen Willen - durch Injektion unter Fesselung - durchgeführt werden solle. Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel hatten keinen Erfolg. Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer unter anderem geltend, man dürfe ihm nicht zwangsweise Medikamente verabreichen, wenn - unstrittig - keine Psychose, sondern nur eine Persönlichkeitsstörung vorliege. Eine scharfe psychiatrische Indikation sei nicht gestellt. Er leide schwer unter den Nebenwirkungen der Medikation.

Der im konkreten Fall als Rechtsgrundlage herangezogene § 8 Abs. 2 S. 2 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (UBG BW) bestimmt, dass der Untergebrachte diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen zu dulden hat, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, soweit die Untersuchung oder Behandlung nicht unter Absatz 3 fällt. § 8 Abs. 3 UBG BW sieht (nur) für operative Eingriffe und Eingriffe, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind, ein Einwilligungserfordernis vor.

Das BVerfG hob die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschlüsse von LG und OLG auf und verwies die Sache an das LG zurück.

Die Gründe:
Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer bereits deshalb in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, weil es für die Zwangsbehandlung, die sie als rechtmäßig bestätigen, an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt. § 8 Abs. 2 S. 2 UBG BW ist mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und nichtig.

Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer auf die Erreichung des Vollzugsziels gerichteten medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 23.3.2011 geklärt (2 BvR 882/09). Die Eingriffsermächtigung des § 8 Abs. 2 S. 2 UBG BW genügt, auch in Verbindung mit weiteren Bestimmungen des baden-württembergischen Unterbringungsgesetzes, den in diesem Beschluss konkretisierten Maßstäben nicht.

Insbesondere ist die medizinische Zwangsbehandlung des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels nach dieser Vorschrift nicht, wie verfassungsrechtlich geboten, auf die Fälle seiner krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit begrenzt. Einer Reihe weiterer aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitender Anforderungen, denen ein zur medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten ermächtigendes Gesetz genügen muss, entspricht § 8 Abs. 2 S. 2 UBG BW ebenfalls nicht.

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BVerfG PM Nr. 63 vom 20.10.2011