15.05.2018

Verfassungsmäßigkeit der zumutbaren Belastung und der rückwirkenden Anwendung von § 64 EStDV

Dem in § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 und in § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 geregelten Verlangen, die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall formalisiert nachzuweisen, ist nach § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 auch im Veranlagungszeitraum 2009 Rechnung zu tragen. Dies begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 3 EStG ist auch bei Krankheitskosten verfassungsgemäß. Das sozialhilferechtliche Leistungsniveau umfasst keine zuzahlungsfreie Krankenversorgung.

Kurzbesprechung
BFH - Beschluss v. 21.2.2018 - VI R 11/16

EStG § 33 Abs. 1, § 33 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 3 Satz 1, § 36
EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 § 33 Abs. 4
EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e, § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. f, § 84 Abs. 3f
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1

Im Streitfall ging es um die zwischenzeitlich verstorbene Ehefrau des Steuerpflichtigen, die in einer gesetzlichen Krankenkasse krankenversichert war. Sie begab sich im Jahr 2007 in einem fortgeschrittenen Stadium ihrer Erkrankung in eine Klinik, die keine Vertragsklinik ihrer gesetzlichen Krankenkasse war. Die Therapie der Ehefrau in der Klinik war im Vorfeld durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK) auf ihre medizinische Notwendigkeit geprüft und befürwortet worden. Der MDK erstellte in den Jahren 2007 bis 2009 darüber hinaus Gutachten bzw. Verlaufsgutachten, die die medizinische Notwendigkeit der Therapie weiterhin belegten. Bei der Therapie handelte es sich um eine Kombination aus anerkannten medizinischen Leistungen und alternativen Behandlungsmethoden.

Die Ehefrau schloss mit T, die im Streitjahr nicht zur Ausübung der Heilkunde zugelassen war, eine Vereinbarung über Reiki-Behandlungen. Darin hieß es u.a., die ausgeführte Reiki-Behandlung verstehe sich nicht als Heilbehandlung im Sinne des Therapiegesetzes, der Heilpraktikerverordnung oder ähnlicher Bestimmungen. Mit der Methode des Reiki würden die Selbstheilungskräfte des Menschen durch Handauflegen aktiviert. Die insoweit entstandenen Kosten betrugen 289 €.

Die Ehefrau verfügte an ihrem Todestag über Guthaben bei einer Sparkasse in Höhe von 12.416 € und bei einer Bausparkasse in Höhe von 8.103 €. Der Steuerpflichtige zahlte im Streitjahr Bestattungskosten für die Beerdigung der Ehefrau in Höhe von 6.104,64 € sowie Krankheitskosten in Höhe von 7.846,51 € und machte diese Kosten als außergewöhnliche Belastung (§ 33 EStG) geltend.

Das FA erkannte die Kosten aufgrund des Klinikaufenthalts an, ließ jedoch u.a. Aufwendungen für die (Fern )Reiki-Behandlungen unberücksichtigt. Auch die Bestattungskosten erkannte es nicht als außergewöhnliche Belastungen an.

Der BFH entschied, dass auch Aufwendungen, denen es objektiv an der Eignung zur Heilung oder Linderung mangelt, vorbehaltlich der Nachweisanforderungen des § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 zu den zwangsläufigen Krankheitskosten zählen, wenn der Steuerpflichtige an einer Erkrankung mit einer nur noch begrenzten Lebenserwartung leidet, die nicht mehr auf eine kurative Behandlung anspricht. Die Zwangsläufigkeit krankheitsbedingter Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel hat der Steuerpflichtige durch die Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachzuweisen (§ 33 Abs. 4 EStG i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011). Dies gilt auch in den Fällen einer Erkrankung mit einer nur noch begrenzten Lebenserwartung, da die Regelung des § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 keine Differenzierung zwischen verschiedenen Krankheitskosten enthält. Gegen diese Regelung bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Vor diesem Hintergrund wurden die Aufwendungen für das (Fern )Reiki zu Recht nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Denn in den in § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 aufgeführten Fällen hat der Steuerpflichtige den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V) zu führen. Daran fehlte es jedoch im Streitfall.

Das FG hatte das von T praktizierte (Fern )Reiki auch zutreffend als eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode i.S. von § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angesehen.

Der BFH hat auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 gemäß § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 im Streitjahr anzuwenden. Denn das mit dem StVereinfG 2011 eingeführte formalisierte Nachweisverlangen ist auch hinsichtlich seiner rückwirkenden Einführung verfassungsgemäß (siehe auch BFH v. 25.4. 2017 - VIII R 52/13, BStBl II 2017, 949).

Die Beerdigungskosten wurden ebenfalls zutreffend nicht zum Abzug zugelassen. Bei Beerdigungskosten handelt es sich um eine Nachlassverbindlichkeit, die den Erben als denjenigen belastet, dem das Vermögen des Erblassers zufällt. Beerdigungskosten können als außergewöhnliche Belastung nur abgezogen werden, soweit die Aufwendungen nicht aus dem Nachlass bestritten werden können oder nicht durch sonstige im Zusammenhang mit dem Tod zugeflossene Geldleistungen gedeckt sind. Daher führen Aufwendungen, die den Verkehrswert des Nachlasses nicht übersteigen, nicht zu einer Belastung i.S. von § 33 EStG. So lag der Sachverhalt jedoch im Streitfall, in dem die Beerdigungskosten aus den Sparguthaben der Verstorbenen gedeckt werden konnten.

Hinsichtlich der zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) entschied der BFH, dass auf ihren Ansatz nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Gesetzes auch bei Krankheitskosten nicht verzichtet werden kann. Denn das Gesetz differenziert in § 33 Abs. 1 und Abs. 3 EStG bei Ansatz und Ermittlung der zumutbaren Belastung nicht zwischen Krankheitskosten und anderen als außergewöhnliche Belastungen abziehbaren Aufwendungen. Diese Rechtsauffassung hält der BFH auch für verfassungsgemäß.

Zwar muss der Gesetzgeber dass das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum für alle Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem individuellen Grenzsteuersatz in voller Höhe von der Einkommensteuer freistellen. Dies gilt jedoch nur für Aufwendungen, die tatsächlich von Verfassungs wegen auch dem einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum zuzuordnen sind, weil die Aufwendungen dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau entsprechen. Das sozialhilferechtliche Versorgungsniveau umfasst aber gerade keine zuzahlungsfreie Krankenversorgung. Aus diesem Grund bildet die sozialrechtliche Belastungsgrenze (§ 62 SGB V) auch von Verfassungs wegen keine betragsmäßige Grenze für den Ansatz der zumutbaren Belastung. Diese ist vielmehr nach den in § 33 Abs. 3 EStG geregelten steuerlichen Grundsätzen zu ermitteln.

Im Streitfall betrafen die verbleibenden, vom FA als außergewöhnliche Belastungen anerkannten Krankheitskosten von der Krankenkasse nicht erstattete Aufwendungen für ärztliche Behandlungen auf (private) Rechnung, Zuzahlungen zu einer Kur und zu einem Krankenhausaufenthalt, Praxisgebühren, Aufwendungen für eine "präventive Krankengymnastik" und für verschiedene durch Privatrezept verordnete Medikamente, Zuzahlungen zu Medikamenten und Rezepten sowie Fahrtkosten zu Kliniken und Krankenfahrten mit dem Taxi. Diese Aufwendungen gehören jedoch nicht zum sozialhilferechtlich gewährleisteten Leistungsniveau.

BFH, Urteil vom 21.2.2018, VI R 11/16, veröffentlicht am 14.5.2018

Verlag Dr. Otto Schmidt