13.01.2012

Verkäufer erfüllen mit der Übergabe von Unterlagen nicht zwangsläufig ihre Aufklärungspflicht

Übergibt ein Verkäufer vor Vertragsschluss Unterlagen an den Käufer, erfüllt er seine Aufklärungspflicht nur dann, wenn er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer die Unterlagen nicht nur zum Zweck allgemeiner Information, sondern unter einem bestimmten Gesichtspunkt gezielt durchsehen wird. Solche Umstände liegen etwa bei der Übergabe eines Sachverständigengutachtens vor.

BGH 11.11.2011, V ZR 245/10
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte im Dezember 2005 unter Ausschluss der Gewährleistung von den Beklagten ein 759 qm großes Hausgrundstück zum Preis von 330.000 € gekauft. Das Grundstück ist mit einem massiven Holzzaun eingefriedet. In die Einfriedung einbezogen ist ein 185 qm großer Grundstückteil des Nachbarn. Für den unbefangenen Betrachter scheint diese Teilfläche aufgrund ihrer gärtnerischen Gestaltung, der Einfriedung und des darin befindlichen vier Meter breiten Eingangstores und der Einfahrt dem Anwesen als Vorgarten zuzugehören.

Die Klägerin verlangte später von den Beklagten Schadensersatz wegen unterlassener Aufklärung über die Eigentumsverhältnisse an dem Vorgartenbereich des Kaufobjekts. Das LG gab der Klage i.H.v. 60.000 € statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Die Verneinung eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen gem. § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB hielt der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Einfriedung eines Hausgrundstücks vermittelt Kaufinteressenten regelmäßig den Eindruck, es handle sich um ein einheitliches, nach außen abgeschlossenes Grundstück. Unter diesen Umständen waren die Beklagten verpflichtet, einem Irrtum der Klägerin durch Aufklärung über den tatsächlichen Grenzverlauf vorzubeugen.

Die Beklagten haben ihre Aufklärungspflicht allerdings nicht dadurch erfüllt, dass sie der Klägerin die erbetenen Finanzierungsunterlagen samt Exposé und Lagepläne überlasen hatten. Denn mit der Übergabe von Unterlagen erfüllt ein Verkäufer seine Aufklärungspflicht nur dann, wenn er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer die Unterlagen nicht nur zum Zweck allgemeiner Information, sondern unter einem bestimmten Gesichtspunkt gezielt durchsehen wird. Solche Umstände liegen etwa bei Übergabe eines Sachverständigengutachtens vor. Ein verständiger und redlicher Verkäufer kann dagegen nicht erwarten, dass ein Käufer die Unterlagen darauf durchsieht, ob - wie hier - in die Einfriedung des Grundstücks möglicherweise fremder Grund einbezogen wurde.

Auch auf die Frage, ob die Beklagten arglistig gehandelt haben, kam es nicht an. Denn es ging hier nicht um Verhaltenspflichten der Beklagten im Zusammenhang mit der Beschaffenheit der Kaufsache. Zur Beschaffenheit des verkauften Grundstücks gehört es nicht, dass es sich auch auf Teile des Nachbargrundstücks erstreckt. Dies könnte auch nicht Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung sein; vielmehr legte eine solche Vereinbarung den Kaufgegenstand selbst und nicht lediglich dessen Beschaffenheit fest.

Unabhängig davon hatte das Berufungsgericht fehlerhaft den subjektiven Tatbestand der Arglist der Beklagten verneint. Zwar trägt die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast auch für den subjektiven Tatbestand der Arglist. Da es sich bei der unterbliebenen Aufklärung aber um eine negative Tatsache handelt, kommen ihr Erleichterungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast zugute. Daher ist es Sache der Beklagten, diejenigen Umstände in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Weise zu konkretisieren, aufgrund deren sie von einer Kenntnis der Klägerin über die tatsächlichen Grundstückverhältnisse ausgegangen sein wollen. Infolgedessen muss das OLG im weiteren Verfahren prüfen, ob die Beklagten ihre Aufklärungspflicht - wie sie behaupten - durch einen ausdrücklichen mündlichen Hinweis auf den tatsächlichen Grenzverlauf erfüllt haben.

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