Vermutung der Richtigkeit eines notariellen Vertrages wird nicht durch inhaltlich abweichenden Vertragsentwurf widerlegt
BGH 10.6.2016, V ZR 295/14Die Klägerin kaufte von dem Beklagten mit notariellem Vertrag aus März 2012 ein mit einer Halle bebautes Grundstück. Vor Vertragsabschluss hatte der Notar den Vertragsparteien den Vertragsentwurf übersandt, in dem es u.a. hieß, dass die Halle 640 qm habe, der Käufer sie mit den Einrichtungsgegenständen kaufe und der Kaufgegenstand übergeben werde wie er steht und liegt, ohne Gewähr für das genaue Flächenmaß, Größe, Güte und Beschaffenheit mit Ausnahme der Größe der Halle.
Die Klägerin verlangte vom Beklagten Schadensersatz, weil die Fläche der Halle nur 540 qm beträgt und weil der Beklagte vor Übergabe des Grundstücks die Einbauküche entfernt hatte. LG und KG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das KG zurück.
Die Gründe:
Die Vorinstanzen hatten rechtsfehlerhaft angenommen, dass zwischen den Parteien ein Vertrag mit dem Inhalt des Vertragsentwurfs zustande gekommen sei.
Der Beklagte hatte die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit des notariellen Kaufvertrages gerade nicht durch die Vorlage des Vertragsentwurfs widerlegt. Mit dieser Sichtweise verkannte das Berufungsgericht den Zweck der notariellen Beurkundung und des Beurkundungsverfahrens. Zweck der in § 311b Abs. 1 S. 1 BGB vorgeschriebenen notariellen Beurkundung von Verträgen über Grundstücke ist es, Veräußerer und Erwerber vor übereilten Verträgen zu bewahren, sie auf die Wichtigkeit des Geschäftes hinzuweisen und ihnen die Möglichkeit rechtskundiger Belehrung und Beratung zu eröffnen. Mit der Durchführung eines strengen Regeln unterworfenen Beurkundungsverfahrens, insbesondere durch die dem Notar in §§ 17 ff. BeurkG auferlegten Prüfungs- und Belehrungspflichten, soll sichergestellt werden, dass der Inhalt der Urkunde dem Willen der mit der rechtlichen Tragweite vertraut gemachten Beteiligten entspricht.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass allein durch die Vorlage des Vertragsentwurfes die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit notarieller Urkunden widerlegt werden könne, führte zu dem Ergebnis, dass nicht der notariellen Urkunde, sondern letztlich dem vorläufigen Entwurfstext, der gerade nicht Bestandteil der Beurkundungsverhandlung ist und daher auch nicht die tatsächlich abgegebenen Erklärungen der Parteien dokumentiert, die maßgebliche Bedeutung zukommt. Dies ist mit dem Sinn und Zweck des strengen Anforderungen unterliegenden Beurkundungsverfahrens und der darin begründeten Beweiskraft notarieller Urkunden nicht vereinbar. Auch die in der notariellen Niederschrift aufgenommene Erklärung der Parteien, dass sie ausreichend Gelegenheit zur Prüfung des Entwurfes und einer Auseinandersetzung mit dessen Inhalt hatten, führte nicht dazu, dass die Regelungen in der notariellen Urkunde, die von dem Entwurfstext abweichen, wegen Perplexität (Widersprüchlichkeit) nichtig sind.
Rechtsfehlerhaft hatte das Berufungsgericht schließlich angenommen, es liege, wenn man davon ausginge, dass die Klägerin die notariell beurkundeten Erklärungen, der Beklagte hingegen die Erklärungen des Entwurfes gewollt habe, ein offener Dissens gem. § 154 Abs. 1 S. 1 BGB vorliege. Ein solcher offener Dissens besteht vielmehr, wenn sich beide Parteien bewusst sind, dass sie sich noch nicht über alle Vertragspunkte einig geworden sind, über die nach der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden soll. Um eine solche Fallkonstellation ging es hier jedoch nicht.
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