29.11.2019

Vollverzinsung beim Bauträger, der auch Bauunternehmer ist

Für § 233a Abs. 5 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 AO ist bei mehrfachen Änderungen von Steuerfestsetzungen die letzte Zahlung auf den Steuerbescheid maßgeblich, in dem die Besteuerungsgrundlage enthalten war, die aufgrund des Änderungsbescheids entfällt. Für die Bestimmung des Steuerschuldners bei Bauleistungen kommt es ausschließlich auf die Voraussetzungen von § 13b UStG, nicht aber darauf an, ob der Leistungsempfänger geltend macht, dass er nicht Steuerschuldner nach dieser Vorschrift sei, dass er ei­nen Steuerbetrag an den leistenden Bauunternehmer nachzahlt oder dass das FA gegen einen Erstattungsanspruch, der sich aus einer unzutreffenden Anwendung von § 13b UStG ergibt, aufrechnen kann, so dass hierin kein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 233a Abs. 2a AO liegt.

Kurzbesprechung
BFH-Beschluss v. 8.10.2019 - V R 15/18

AO §§ 163, 233a
UStG §§ 13b, 27 Abs. 19 Satz 1


Wird die Steuerfestsetzung geändert, ist gemäß § 233a Abs. 5 Satz 1 AO die bisherige Zinsfestsetzung zu ändern. Maßgebend für die Zinsberechnung ist nach § 233a Abs. 5 Satz 2 AO der Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und der vorher festgesetzten Steuer.

Bei einer geänderten Steuerfestsetzung i.S. von § 233a Abs. 5 Satz 1 AO beginnt der Zinslauf gemäß § 233a Abs. 2 Satz 1 AO im Regelfall 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist und endet nach § 233a Abs. 2 Satz 1 AO mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird. Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für einen hiervon abweichenden Beginn des Zinslaufs gemäß § 233a Abs. 5 Satz 4 AO nicht vor.

Nach § 233a Abs. 5 Satz 4 AO i.V.m. Abs. 3 Satz 3 AO ist ein Unterschiedsbetrag zugunsten des Steuerpflichtigen nur bis zur Höhe des zu erstattenden Betrags  zu verzinsen, wobei die Verzinsung frühestens mit dem Tag der Zahlung beginnt. Besteht der zu erstattende Betrag aus mehreren Einzahlungen, richtet sich der Zinsberechnungszeitraum im Allgemeinen nach der Einzahlung des jeweiligen Teilbetrags, wobei unterstellt wird, dass die Erstattung zuerst aus dem zuletzt gezahlten Betrag erfolgt. Hat der Steuerpflichtige die nach einem Ausgangsbescheid geschuldete Steuer z.B. zu unterschiedlichen Zeitpunkten getilgt, bestimmt sich der nach § 233a Abs. 5 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 AO maßgebliche Tag der Zahlung vorrangig nach der zuletzt erfolgten Zahlung. Damit wird dem sich aus § 233a Abs. 5 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 AO ergebenden Ist-Prinzip Rechnung getragen.

Für § 233a Abs. 5 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 AO ist die letzte Zahlung auf den Steuerbescheid maßgeblich, in dem die Besteuerungsgrundlage enthalten war, die aufgrund des Änderungsbescheids entfällt. Hatte der Steuerpflichtige z.B. Zahlungen auf einen Ausgangsbescheid geleistet und kommt es später zu einem ersten Änderungsbescheid, durch den sich aus der insoweit erstmaligen Erfassung zusätzlicher Besteuerungsgrundlagen eine Mehrsteuer ergibt, die der Steuerpflichtige tilgt, während ein zweiter Änderungsbescheid zu einer Mindersteuer durch Entfallen von im Ausgangsbescheid enthaltenen Besteuerungsgrundlagen führt, ist im Rahmen von § 233a Abs. 5 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 AO auf die letzte Zahlung auf den Ausgangsbescheid, nicht aber auf die letzte Zahlung auf den ersten Änderungsbescheid abzustellen. Damit ist das Ist-Prinzip auf den jeweils maßgeblichen Steuerbetrag i.S. von "Teil-Unterschiedsbeträgen" anzuwenden. Aus § 233a Abs. 5 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 AO folgt somit nicht, dass auch bei mehrfachen Änderungen von Steuerfestsetzungen stets auf die jeweils letzte Zahlung als Verzinsungsbeginn abzustellen ist.

Im Streitfall ergab sich nach § 233a Abs. 5 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 AO kein von § 233a Abs. 2 Satz 1 AO abweichender Beginn des Zinslaufs. Denn der die Erstattung begründende Änderungsbescheid beruhte auf dem Entfallen von Besteuerungsgrundlagen, die bereits in den Voranmeldungen für das Streitjahr enthalten waren und für die die Steuerpflichtige die insoweit geschuldeten Zahlungen bereits vor dem nach § 233a Abs. 2 Satz 1 AO maßgeblichen 01.04.2011 geleistet hatte.

Ein abweichender Beginn des Zinslaufs ergab sich im Streitfall auch nicht aus § 233a Abs. 2a AO. Bei einem rückwirkenden Ereignis beginnt der Zinslauf nach § 233a Abs. 2a AO erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist. Dem Zinsbetrag sind gemäß § 233a Abs. 5 Satz 3 AO bisher festzusetzende Zinsen hinzuzurechnen. Zudem entfallen bei einem Unterschiedsbetrag zugunsten des Steuerpflichtigen darauf festgesetzte Zinsen. Hieraus folgt, dass eine derartige Hinzurechnung zu einer Minderung von Erstattungszinsen führen kann. Festzusetzende Zinsen i.S. von § 233a Abs. 5 Satz 3 AO sind die Zinsen, die unbeschadet ihrer tatsächlichen Festsetzung nach den gesetzlichen Vorschriften hätten festgesetzt werden müssen. Einzubeziehen sind daher Zinsen, deren Festsetzung trotz ent­sprechender Steuerfestsetzung bislang versäumt wurde.

Für den Fall einer bei einer früheren Steuerfestsetzung getroffenen Billigkeitsentscheidung, die z.B. durch eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 239 Abs. 1 AO i.V.m. § 163 AO erfolgen kann, ist dabei wie folgt zu unterscheiden:
  • Bei einer gemäß § 233a Abs. 5 AO zu ändernden Zinsberechnung ist es grundsätzlich unerheblich, ob die Finanzbehörde ursprünglich festgesetzte Nachzahlungszinsen nach § 227 AO erlassen oder aus Billigkeitsgründen abweichend mit 0 € festgesetzt hat, da dem neu berechneten Zinsbetrag nach § 233a Abs. 5 Satz 3 AO die bisher festzusetzen­den Zinsen hinzuzurechnen sind. Selbst wenn § 163 AO nicht - wie § 227 AO - das Erhebungsverfahren betrifft, kann es in diesem Zusammenhang ersichtlich nur auf die nach der Vorschrift des § 233a AO festzusetzenden Zinsen, nicht jedoch auf eine im Ermessen des FA liegende abweichende Billigkeitsfestsetzung gemäß § 163 AO ankommen.
  • Anders ist es, wenn ein Zinserlass gemäß § 239 Abs. 1 AO i.V.m. § 163 AO in der Weise geboten ist, dass jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft ist. Bei einer derartigen Ermessensreduktion auf null  handelt es sich bei den in dieser Weise erlassenen Zinsen nicht um festzusetzende Zinsen i.S. von § 233a Abs. 5 Satz 3 AO. Denn festzusetzende Zinsen sind nur rechtmäßige Zinsen, nicht aber auch Zinsen, die zwingend zu erlassen sind, so dass ihre Erhebung von vornherein rechtswidrig ist.


Im Streitfall stand dem Steuerpflichtigen im Anwendungsbereich von § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG Vertrauensschutz gemäß § 176 Abs. 2 AO zu, so dass Änderungsbescheide gegen Bauunternehmer nur auf der Grundlage von § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG, nicht aber auch nach § 164 AO ergehen können. Ergeht der Änderungsbescheid gegen einen Bauunternehmer bei einer Leistungserbringung an einen Bauträger daher nicht nach § 164 AO, sondern nur gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG, steht der dem Bauunternehmer zu gewährende Vertrauensschutz bei einer Änderung nach dieser Korrekturvorschrift der Zinspflicht gemäß § 233a AO entgegen. Denn eine Zinspflicht nach dieser Vorschrift ist sachlich unbillig, "wenn der Leistende bei der Ausführung seines Umsatzes in Übereinstimmung mit den zu diesem Zeitpunkt geltenden Verwaltungsanweisungen davon ausgehen konnte und musste, dass nicht er, sondern der Leistungsempfänger Steuerschuldner sei".

Dementsprechend erfolgte das vom FA ausgesprochene Unterbleiben einer Zinsfestsetzung auf der Grundlage von § 239 Abs. 1 AO i.V.m. § 163 Satz 2 AO im Rahmen einer Ermessensreduktion auf null, für die neben dem materiell-rechtlich zu gewährenden Vertrauensschutz für den Streitfall auch eine Selbstbindung der Verwaltung spricht. Soweit es für eine derartige Selbstbindung darauf ankommt, dass eine Billigkeitsrichtlinie der Verwaltung Recht und Billigkeit entspricht  war dies für den Streitfall zu bejahen. Da insoweit eine abweichende Zinsfestsetzung aus zwingenden Billigkeitsgründen vorlag, wirkte der Billigkeitserlass unmittelbar auf die Zinsfestsetzung.
 

Verlag Dr. Otto Schmidt