22.10.2015

Wann erlischt das Besitzrecht nach § 9 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 VerkFlBerG?

Das Besitzrecht nach § 9 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 VerkFlBerG besteht deshalb unbestrittenermaßen - wie das Besitzrecht für den privaten Nutzer nach Art. 233 § 2a Abs. 1 S. 3 EGBGB - nur bis zur Bereinigung der Rechtsverhältnisse nach dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz oder der Aufgabe der öffentlichen Nutzung. Übt der öffentliche Nutzer seine Rechte nicht bis zum 30.6.2007 aus und lehnt der Grundstückseigentümer eine Bereinigung der Rechtsverhältnisse i.S.v. § 3 VerkFlBerG ab, so erlischt das Besitzrecht.

BGH 17.7.2015, V ZR 207/14
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Eigentümer eines 262 qm großen Grundstücks in Thüringen. Dieses war in der DDR in staatliche Verwaltung genommen und in eine öffentlich zugängliche Grünfläche umgestaltet worden. Seitdem nutzt die beklagte Stadt das Grundstück. Im Juni 2007 machte die Beklagte zwei namentlich bekannten Erben der früheren Eigentümerin des Grundstücks ein notariell beurkundetes Angebot zum Kauf. In der Folgezeit stellte sich heraus, dass die Erbengemeinschaft aus zwei weiteren Personen bestand.

Zu dem Abschluss eines Kaufvertrages mit allen Erben kam es jedoch nicht. Vielmehr veräußerten diese das Grundstück an den Kläger, der daraufhin von der Beklagten die Herausgabe des Grundstücks und Zahlung entgangener Pachtzinsen für das Jahr 2010 i.H.v. 9.600 € verlangte.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH die Urteile der Vorinstanzen auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Gründe:
Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung ließ sich ein Herausgabeanspruch des Klägers nach § 985 BGB nicht verneinen. Die Beklagte konnte dem Anspruch kein Besitzrecht nach § 9 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 VerkFlBerG entgegenhalten.

Nach der Vorschrift ist der öffentliche Nutzer gegenüber dem Grundstückseigentümer zum Besitz berechtigt. Eine zeitliche Grenze wird, anders als die Vorgängerregelung in Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB a.F., nicht genannt. Sie ist aber, wie der systematische Zusammenhang mit § 9 Abs. 1 S. 1 VerkFlBerG, aber auch der Sinn und Zweck der Regelung ergeben, zu weit gefasst. Das Besitzrecht besteht deshalb unbestrittenermaßen - wie das Besitzrecht für den privaten Nutzer nach Art. 233 § 2a Abs. 1 S. 3 EGBGB - nur bis zur Bereinigung der Rechtsverhältnisse nach dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz oder der Aufgabe der öffentlichen Nutzung.

Meist unerörtert bleibt die - hier entscheidende - Frage, ob die als Endzeitpunkt genannte Bereinigung der Rechtsverhältnisse den Zeitpunkt meint, zu dem die Rechtsverhältnisse tatsächlich (im Sinn des Nutzers) bereinigt werden, oder denjenigen, zu dem der Nutzer eine Bereinigung nicht mehr verlangen kann und sich der Grundstückseigentümer gegen eine Bereinigung entscheidet und Herausgabe des Grundstücks verlangt. Soweit die Frage behandelt wird, wird sie im zweiten Sinn beantwortet. Diese Ansicht trifft zu. Nach dem Erlöschen der in § 3 VerkFlBerG geregelten Bereinigungsansprüche des öffentlichen Nutzers entfällt dessen Besitzrecht nach § 9 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 VerkFlBerG, wenn der Grundstückseigentümer seinen eigenen Bereinigungsanspruch nach § 8 Abs. 2 VerkFlBerG nicht geltend macht und stattdessen Herausgabe verlangt.

Die Beklagte hatte die ihr nach § 3 Abs. 1 VerkFlBerG zustehenden Rechte nicht bis zum Ablauf des 30.6.2007 ausgeübt. Sie hatte zwar im Juni 2007 ein notariell beurkundetes Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages über das Grundstück abgegeben, was für die Ausübung des Erwerbsrechts (§ 3 Abs. 1 S. 2 VerkFlBerG) an sich ausreicht. Zur Wahrung der Ausschlussfrist genügt ein Angebot aber nur, wenn es innerhalb der Frist "abgegeben" wird. Mit diesem Begriff knüpft der Gesetzgeber an den Sprachgebrauch des BGB an, das für Willenserklärungen, die wie der Antrag auf Abschluss eines Grundstückskaufvertrags oder eines Vertrags zur Bestellung einer Dienstbarkeit einem anderen gegenüber abzugeben sind, in §§ 130, 145 BGB den Zugang bei dem Empfänger vorsieht. Danach hatte die Beklagte ihr Erwerbsrecht nicht wirksam ausgeübt.

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