WEG: Eigentumsentziehung wegen unzumutbaren Verhaltens aufgrund eines sog. Messie-Syndroms
LG Hamburg 6.4.2016, 318 S 50/15Der Beklagte ist Mitglied der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Parteien stritten lange Zeit über das Wohnverhalten des Beklagten (sog. Messie-Syndrom) und dessen Verpflichtung, sein Wohnungseigentum zu veräußern. Nachdem der Beklagte im Jahr 2011 einen Beschluss der Klägerin, durch den er zur Veräußerung seines Wohnungseigentums aufgefordert worden war, erfolgreich anfechten konnte, da die erforderliche Mehrheit von 2/3 aller Wohnungseigentümer nicht erreicht worden war, wurde auf der Eigentümerversammlung im Juli 2013 bestandskräftig beschlossen, den Beklagten erneut abzumahnen und ggfls. ein Entziehungsverfahren durchzuführen.
Das AG hat den Beklagten dazu verurteilt, sein Wohnungseigentum zu veräußern. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte sei gem. §§ 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 WEG aufgrund einer schweren Pflichtverletzung zur Veräußerung verpflichtet. Dies gelte auch, wenn man von einer Krankheit des Beklagten ausgehe (sog. Messie-Syndrom). Der Beklagte habe jedenfalls insoweit schuldhaft gehandelt, als er sich zu spät in fachärztliche Behandlung begeben habe. Er verhindere durch sein Verhalten notwendige Arbeiten im Sondereigentum. Die Störungen hätten zwischenzeitlich eine Intensität und Dauer erreicht, die die Toleranzgrenze überschreite.
Das LG wies die hiergegen gerichtete Berufung zurück. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Veräußerung des Wohnungseigentums gem. §§ 18 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1; 14 Nr. 1 WEG.
Voraussetzung eines Entziehungsanspruchs ist, dass ein Wohnungseigentümer sich einer so schweren Verletzung der ihm gegenüber den anderen Wohnungseigentümern obliegenden Verpflichtungen schuldig gemacht hat, dass diesen die Fortsetzung der Gemeinschaft mit ihm nicht mehr zugemutet werden kann. Ziel ist es, künftige Störungen der Wohnungseigentümergemeinschaft zu verhindern, nicht vergangenes Handeln zu sanktionieren. Da die Entziehung einen schweren Eingriff in das grundrechtlich geschützte Eigentum darstellt, ist eine Verpflichtung zur Veräußerung nur unter engen Voraussetzungen als ultima ratio zulässig.
Bei der Entscheidung der Frage, ob die Pflichtverletzung des Störers ein Ausmaß erreicht, das zu einem Anspruch auf Veräußerung des Wohnungseigentums führt, sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und die Interessen der Beteiligten insgesamt gegeneinander abzuwägen. Eine Pflichtverletzung i.S.v. § 18 WEG setzt nicht zwingend ein schuldhaftes und subjektiv vorwerfbares Verhalten voraus. Auch ein aufgrund der individuellen Disposition für den Wohnungseigentümer nicht oder nur schwer vermeidbares Verhalten kann zur Folge haben, dass den Wohnungseigentümern eine Fortsetzung der Gemeinschaft nicht mehr zugemutet werden kann.
Im vorliegenden Fall lagen diese Voraussetzungen nach Überzeugung des Gerichtes vor. Wesentlichen unverändert andauernden Problematik und der anhaltenden Intensität der Störungen vor. Unerheblich war, ob man dabei Begriffe wie "Messie-Syndrom" oder "Unrat" verwendet. Es kommt vielmehr auf die zugrunde liegenden Tatsachen an. Insofern war ein seit langem von der Gemeinschaft beschlossener vollständiger Austausch der Fenster bisher in der Wohnung des Beklagten wegen Platzmangel nicht möglich, da die Wohnung zu voll gestellt war. Auch der Einbau von Kaltwasserzählern, zu dessen Duldung der Beklagte bereits im Jahr 2012 rechtskräftig verurteilt worden war, konnte deshalb nicht durchgeführt werden. Entgegen der Ansicht des Beklagten wird hierdurch auch nicht ausschließlich sein Sondereigentum und seine Privatsphäre betroffen. Denn sowohl der Einbau neuer Fenster als auch der Einbau von Wasserzählern betreffen sämtliche Wohnungseigentümer.
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