28.03.2019

Widerrufsrecht bei einem im Fernabsatz geschlossenen Verbraucherkreditvertrag

Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2002/65/EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung entgegensteht, die bei im Fernabsatz geschlossenen Darlehensverträgen nicht den Ausschluss des Widerrufsrechts vorsieht, wenn auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers der Vertrag von beiden Seiten bereits voll erfüllt ist, bevor der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt.

EuGH, C-143/18: Schlussanträge des Generalanwalts vom 28.3.2019
Der Sachverhalt:
Beim Abschluss eines Immobiliendarlehensvertrags im Fernabsatz informierte die DSL-Bank die Kunden darüber, dass das Widerrufsrecht vorzeitig erlischt, wenn der Vertrag vollständig erfüllt ist und der Darlehensnehmer dem ausdrücklich zugestimmt hat. Fast neun Jahre später widerriefen die Kunden den Darlehensvertrag und machten geltend, dass sie fehlerhaft über ihr Widerrufsrecht belehrt worden seien.

Das mit dem Rechtsstreit befasste LG Bonn ist der Ansicht, dass sich die streitige Widerrufsbelehrung auf die deutschen Umsetzungsvorschriften zur Richtlinie 2002/65 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher stütze. Diese sieht in Art. 6 Abs. 2 Buchst. c in der Tat vor, dass das Widerrufsrecht vor Ablauf der 14-Tage-Frist erlischt, wenn der Vertrag auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten bereits voll erfüllt wurde, bevor der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt.

Allerdings erlösche nach der Rechtsprechung des BGH bei Verbraucherdarlehen, auch wenn sie im Fernabsatz geschlossen worden seien, das Widerrufsrecht nicht allein deshalb, weil der Vertrag vor Ausübung des Widerrufsrechts auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten bereits voll erfüllt sei. Sofern die Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß sei, habe der Verbraucher ein "ewiges" Widerrufsrecht.

Vor diesem Hintergrund möchte das LG wissen, ob im Rahmen des Fernabsatzes von Finanzdienstleistungen und insbesondere eines Hypothekendarlehens der Widerruf eines Verbrauchers berechtigt ist, der nach der vollständigen Vertragserfüllung ausgeübt wird, weil die vom Unternehmer übermittelten Informationen über dieses Widerrufsrecht zwar den vom Unionsrecht vorgesehenen entsprechen, jedoch nicht der gefestigten Auslegung des anwendbaren nationalen Rechts. Mit anderen Worten: Kann der angebliche Informationsmangel in Bezug auf das Widerrufsrecht, wie es in den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften, im vorliegenden Fall im Sinne eines höheren Schutzes des Verbrauchers als nach dem Unionsrecht, geregelt ist, ein "ewiges" Widerrufsrecht für den Verbraucher zur Folge haben?

Die Gründe:
Generalanwalt Pitruzzella legt - ausgehend von der Analyse der Richtlinie 2002/65, die auf die vollständige Harmonisierung im Bereich des Fernabsatzes von Finanzdienstleistungen gerichtet sei - die Gründe dar, aus denen auf dem Gebiet des Widerrufsrechts die nationalen Rechtsvorschriften nicht von den von dieser Richtlinie vorgesehenen Bestimmungen abweichen könnten, auch nicht für den Fall, dass die Abweichung für den Verbraucher günstiger sei.

Er schlägt dem EuGH vor, dem LG Bonn wie folgt zu antworten:
  • 1. Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2002/65/EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung entgegensteht, die bei im Fernabsatz geschlossenen Darlehensverträgen nicht den Ausschluss des Widerrufsrechts vorsieht, wenn auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers der Vertrag von beiden Seiten bereits voll erfüllt ist, bevor der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt.
  • 2. Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 zweiter Gedankenstrich und Art. 6 Abs. 6 der Richtlinie 2002/65 sind dahin auszulegen, dass für das ordnungsgemäße Erhalten der vom nationalen Recht entsprechend Art. 5 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a dieser Richtlinie vorgesehenen Informationen und für die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher auf keinen anderen als einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher unter Berücksichtigung aller einschlägigen Tatsachen und sämtlicher den Abschluss des Vertrags begleitenden Umstände abzustellen ist.


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