Wiedereinsetzung in die Antragsfrist gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG
KurzbesprechungAO § 110
EStG § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d, § 3 Nr. 40 Satz 2, § 32d Abs. 2 Nr. 3, § 32d Abs. 6
Der Steuerpflichtige bezog aus einer 40 %-igen Beteiligung an einer GmbH am 30.11. des Streitjahres eine Gewinnausschüttung in Höhe von 18.000 €, die die GmbH dem Kapitalertragsteuerabzug unterworfen hatte. Die GmbH hatte dem Steuerpflichtigen hierüber eine Steuerbescheinigung erteilt.
Der Steuerpflichtige erstellte die Einkommensteuererklärung des Streitjahres ohne Inanspruchnahme einer steuerlichen Beratung. Ihm stand beim Ausfüllen der Anlage KAP die amtliche Anleitung mit dem Stand August 2010 zur Verfügung.
Die Einnahme aus der Gewinnausschüttung der GmbH trug der Steuerpflichtige in Zeile 7 seiner Anlage KAP in der Rubrik "Kapitalerträge, die dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben" ein. Die dort angegebenen Kapitalerträge in Höhe von 20.457 € setzten sich aus der Dividende der GmbH in Höhe von 18.000 € und weiteren bescheinigten Kapitalerträgen in Höhe von 2.457 € zusammen.
In den Zeilen 22 bis 25 der Anlage KAP zum Antrag gemäß § 32d Abs. 2 Nr.3 EStG machte der Steuerpflichtige keine Angaben und stellte auch keine Anträge. Auch die Zeilen 55 bis 57 ("Anzurechnende Steuern zu Erträgen in den Zeilen 22 bis 25, 47 und 48 und aus anderen Einkunftsarten") füllte er nicht aus. In Zeile 4 der Anlage KAP beantragte er, die Günstigerprüfung für sämtliche Kapitalerträge durchzuführen.
Dem Steuerpflichtigen waren bei Anfertigung der Erklärung sowohl die Existenz des Antragsrechts gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG als auch dessen Ausübbarkeit neben einem Antrag auf Günstigerprüfung unbekannt. Auch hatte der Steuerpflichtige bei Anfertigung der Steuererklärung die Ausführungen in der amtlichen Anleitung zu den Zeilen 24 und 25 der Anlage KAP nicht zur Kenntnis genommen.
Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung führte die Günstigerprüfung zu dem Ergebnis, dass die Besteuerung der Kapitalerträge im Rahmen der tariflich zu besteuernden Einkünfte vorteilhafter war. Die Kapitalerträge wurden im Bescheid unter Abzug des Sparer-Pauschbetrags von 801 € in Höhe von 19.656 € (d.h. ohne Anwendung der anteiligen Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG für die Ausschüttung) als tariflich zu besteuernde Einkünfte berücksichtigt.
Im Einspruchsverfahren beantragte der Steuerpflichtige die Wiedereinsetzung in die Antragsfrist des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG gemäß § 110 AO mit der Begründung, er habe das Antragsrecht und die Frist des § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG nicht gekannt und wegen der komplizierten Abfragelogik des Formulars auch nicht erkannt, dass er diesen Antrag neben einem Antrag auf Günstigerprüfung habe stellen müssen, um eine Nullfestsetzung zu erreichen. Er habe geglaubt, mit dem Antrag auf Günstigerprüfung alle notwendigen Anträge gestellt zu haben, um die für ihn günstigste Besteuerung zu erreichen.
Nach erfolglosem Einspruchs - und Klageverfahren gewährte der BFH die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er entschied, dass den Steuerpflichtigen kein Verschulden daran trifft, weder das Antragsrecht und die Frist des § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG noch die Notwendigkeit gekannt zu haben, für das günstigste Besteuerungsergebnis im Streitjahr diesen Antrag neben einem Antrag auf Günstigerprüfung stellen zu müssen. Denn Irrtümer über eine verfahrensrechtliche Frist oder deren formale Einhaltung können bei fehlendem Verschulden hingegen zur Wiedereinsetzung berechtigen.
Ein entschuldbarer Irrtum über den materiell-rechtlichen Gehalt einer Rechtsvorschrift kann zur Wiedereinsetzung führen, wenn dieser einen Irrtum über deren verfahrensrechtliche Folge nach sich zieht und die Fristversäumnis darauf beruht. Danach kann auch die Unkenntnis eines fristgebundenen Antragsrechts als Grund der Fristversäumung unverschuldet sein und zur Wiedereinsetzung berechtigen.
Diese Grundsätze sind auch bei Unkenntnis des Antragsrechts und der Frist in § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG und bei Unkenntnis, Anträge gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG und gemäß § 32d Abs. 6 EStG kombinieren zu können bzw. zu müssen, anwendbar.
Im Streitfall hatte der Steuerpflichtige mit der Angabe der Beteiligungserträge aus der GmbH in Zeile 7 der Anlage KAP bei den "Kapitalerträgen, die dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben", und dem Antrag auf Günstigerprüfung zutreffende und zulässige Angaben gemacht. Er durfte davon ausgehen, mit diesen Eintragungen alle notwendigen Angaben gemacht zu haben, um das für ihn günstigste Besteuerungsergebnis zu erreichen. Ein Anlass für weitere Eintragungen in Bezug auf die Beteiligungserträge - insbesondere in Zeile 24 und 25 - ergab sich daher für ihn nicht.
Der Steuerpflichtige musste sich auch nicht entgegenhalten lassen, die amtliche Anleitung zur Anlage KAP nicht vollständig gelesen zu haben. Denn zur Günstigerprüfung enthält die Anleitung die - in dieser Absolutheit unvollständige und damit irreführende - Aussage, aufgrund des Antrags werde "das Finanzamt prüfen, ob sich eine niedrigere Besteuerung Ihrer Kapitalerträge ergibt". In der Anleitung fehlt zudem ein Hinweis auf die Möglichkeit, kumulative Anträge gemäß § 32d Abs. 6 EStG und gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG stellen zu können sowie zu den Rechtsfolgen, die sich bei einer Kombination der Anträge ergeben. Auch die vollständige Lektüre der Anleitung hätte dem Steuerpflichtigen daher nicht mit hinreichender Sicherheit vermittelt, dass er im Streitfall sowohl einen Antrag gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG als auch einen Antrag gemäß § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG hätte stellen müssen, um eine niedrigere Besteuerung als mit einem isolierten Antrag auf Günstigerprüfung zu erreichen. Daher kann ihm im Hinblick auf die unterbliebene Lektüre der Anleitung kein Verschuldensvorwurf gemacht werden.
BFH, Urteil vom 29.8.2017, VIII R 33/15, veröffentlicht am 29.11.2017.