Wirecard-Wirtschaftsprüfer zur Auskunft und Akteneinsicht verpflichtet
LG Stuttgart v. 15.11.2022 - 31 O 125/21 KfH
Der Sachverhalt:
Der klagende Insolvenzverwalter der Wirecard AG und der Wirecard Technologies GmbH verlangt von der beklagten Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft GmbH u.a. Auskunft über den Inhalt von Handakten, Einsicht in die Handakten und Herausgabe der Handakten (letzteres im Wege der Stufenklage). Es geht dabei um die Handakten, die anlässlich von Jahresabschlussprüfungen sowie anlässlich einer vom Unternehmen in Auftrag gegebenen forensischen Sonderuntersuchung angelegt worden waren. Außerdem soll die Beklagte Auskunft auf konkrete Fragen zu der Prüfung geben.
Im Kern geht es dem Kläger um die Frage, weshalb die Beklagte im April 2017 als Ergebnis der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum 31.12.2016 einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt hat, obwohl die Wirtschaftsprüfer noch kurz zuvor dokumentiert hatten, dass es offene Bilanzierungssachverhalte gebe, die im Zusammenhang mit der forensischen Sonderuntersuchung untersucht worden waren. Im März 2017 hatte der für die Abschlussprüfung verantwortliche Partner dem Finanzvorstand der Wirecard AG noch mitgeteilt, dass bestimmte in 2015 und 2016 gebuchte Umsätze nicht in angemessener Art und Weise nachgewiesen seien und dass sich aus den involvierten Beträgen Konsequenzen für den Konzernabschluss ergeben könnten. Ende März 2017 hatte die Beklagte abermals die Einschränkung des Bestätigungsvermerks angedroht, dann aber wenige Tage später das Testat erteilt.
Mit der Angelegenheit "Wirecard" hatte sich später u.a. auch ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages befasst, dem die Beklagte die Handakten einschließlich der Arbeitspapiere herausgegeben hatte. Gegenüber dem Kläger war sie aber diesbezüglich nicht zur Auskunft über den Handakteninhalt, zur Gewährung von Einsicht oder zur Beantwortung der gestellten Fragen bereit. Vorliegend stritten die Parteien darüber, ob ein Abschlussprüfer überhaupt Auskunft über seine Handakte geben muss.
Der Kläger stützt seine Klage insbesondere auf die Rechenschaftspflicht gem. §§ 675, 666 Var. 2 BGB. Zu den berufsrechtlich geschützten Arbeitspapieren (§ 51b Abs. 4 WPO) gehören aus seiner Sicht nur die Unterlagen, die ausschließlich der internen Planung, Dokumentation und Nachschau des Prüfungsauftrages dienen, nicht hingegen die Prüfungsnachweise und -handlungen selbst. Die Beklagte weist demgegenüber u.a. auf die besondere Stellung des Wirtschaftsprüfers als Abschlussprüfer hin, insbesondere auf seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, die bei Bejahung einer Rechenschaftspflicht gegenüber dem geprüften Unternehmen gefährdet sei. Sie argumentiert weiterhin, dass Wirtschaftsprüfer einer strengen Kontrolle durch die Berufsaufsicht unterlägen. Eine etwaige Rechenschaftspflicht sei auf die "Handakten im engeren Sinne" begrenzt. Interne Arbeitspapiere, seien dagegen durch § 51b Abs. 4 WPO von Auskunfts- und Herausgabeansprüchen ausgenommen.
Das LG gab der Klage mit Teil- und Endurteil statt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Gründe:
Die Beklagte wird zur Auskunftserteilung und Einsicht in die genannten Handakten verurteilt. Sie muss außerdem, wie vom Kläger beantragt, konkrete Fragen im Zusammenhang mit der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum 31.12.2016 beantworten. Die Beklagte hat zudem eine Vernichtung der Handakten zu unterlassen. Über den stufenweise geltend gemachten Herausgabeanspruch war vorliegend noch nicht zu entscheiden.
Auch Abschlussprüfer unterliegen grundsätzlich einer umfassenden Auskunfts- und Rechenschaftspflicht gegenüber dem Auftraggeber, ungeachtet ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit und ungeachtet ihrer Weisungsfreiheit. Der (hier vom Insolvenzverwalter geltend gemachte) Anspruch des Mandanten erstreckt sich auf Auskunft und auf Einsicht in die Handakten insbesondere auch auf die Arbeitspapiere, die zu Recht als wichtige Ergänzung zum Prüfungsbericht gelten, denn sie müssen sämtliche Prüfungsnachweise enthalten und sollen der Stützung der Prüfungsaussagen dienen.
Im Rahmen des § 666 BGB muss der Abschlussprüfer dem Auftraggeber in verkehrsüblicher Weise die notwendige Übersicht und die Kenntnis von den wesentlichen Einzelheiten der entfalteten Prüfungstätigkeit verschaffen. § 51b Abs. 4 WPO darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass sämtliche Dokumente, mit deren Hilfe der Wirtschaftsprüfer den Fortgang der entfalteten Prüfungstätigkeit festhält, dem Zugriff des Mandanten von vornherein entzogen wären. Die Norm schränkt lediglich die Herausgabe von Unterlagen ein, nicht jedoch den Auskunftsanspruch des Auftraggebers durch Einsicht in die Unterlagen.
Die Frage, ob die Beklagte gegenüber den Wirecard-Gesellschaften für etwaige Schäden haftet, war nicht Gegenstand des Verfahrens. Nachdem die Klage jedoch nach klägerischer Darstellung der Prüfung und Verfolgung möglicher Ersatzansprüche in mehrstelliger Millionenhöhe dient, setzte die Kammer den Streitwert auf 13 Mio. € fest.
Mehr zum Thema:
Aufsatz:
Kausalität bei der Haftung von Wirtschaftsprüfern nach § 826 BGB
Petra Buck-Heeb, AG 2022, 337
Abrufbar auch im Beratermodul AG - Die Aktiengesellschaft:
Das exklusive Beratermodul für einen gezielten digitalen Zugriff auf sämtliche Inhalte der AG. 4 Wochen gratis nutzen!
LG Stuttgart PM vom 12.12.2022
Der klagende Insolvenzverwalter der Wirecard AG und der Wirecard Technologies GmbH verlangt von der beklagten Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft GmbH u.a. Auskunft über den Inhalt von Handakten, Einsicht in die Handakten und Herausgabe der Handakten (letzteres im Wege der Stufenklage). Es geht dabei um die Handakten, die anlässlich von Jahresabschlussprüfungen sowie anlässlich einer vom Unternehmen in Auftrag gegebenen forensischen Sonderuntersuchung angelegt worden waren. Außerdem soll die Beklagte Auskunft auf konkrete Fragen zu der Prüfung geben.
Im Kern geht es dem Kläger um die Frage, weshalb die Beklagte im April 2017 als Ergebnis der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum 31.12.2016 einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt hat, obwohl die Wirtschaftsprüfer noch kurz zuvor dokumentiert hatten, dass es offene Bilanzierungssachverhalte gebe, die im Zusammenhang mit der forensischen Sonderuntersuchung untersucht worden waren. Im März 2017 hatte der für die Abschlussprüfung verantwortliche Partner dem Finanzvorstand der Wirecard AG noch mitgeteilt, dass bestimmte in 2015 und 2016 gebuchte Umsätze nicht in angemessener Art und Weise nachgewiesen seien und dass sich aus den involvierten Beträgen Konsequenzen für den Konzernabschluss ergeben könnten. Ende März 2017 hatte die Beklagte abermals die Einschränkung des Bestätigungsvermerks angedroht, dann aber wenige Tage später das Testat erteilt.
Mit der Angelegenheit "Wirecard" hatte sich später u.a. auch ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages befasst, dem die Beklagte die Handakten einschließlich der Arbeitspapiere herausgegeben hatte. Gegenüber dem Kläger war sie aber diesbezüglich nicht zur Auskunft über den Handakteninhalt, zur Gewährung von Einsicht oder zur Beantwortung der gestellten Fragen bereit. Vorliegend stritten die Parteien darüber, ob ein Abschlussprüfer überhaupt Auskunft über seine Handakte geben muss.
Der Kläger stützt seine Klage insbesondere auf die Rechenschaftspflicht gem. §§ 675, 666 Var. 2 BGB. Zu den berufsrechtlich geschützten Arbeitspapieren (§ 51b Abs. 4 WPO) gehören aus seiner Sicht nur die Unterlagen, die ausschließlich der internen Planung, Dokumentation und Nachschau des Prüfungsauftrages dienen, nicht hingegen die Prüfungsnachweise und -handlungen selbst. Die Beklagte weist demgegenüber u.a. auf die besondere Stellung des Wirtschaftsprüfers als Abschlussprüfer hin, insbesondere auf seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, die bei Bejahung einer Rechenschaftspflicht gegenüber dem geprüften Unternehmen gefährdet sei. Sie argumentiert weiterhin, dass Wirtschaftsprüfer einer strengen Kontrolle durch die Berufsaufsicht unterlägen. Eine etwaige Rechenschaftspflicht sei auf die "Handakten im engeren Sinne" begrenzt. Interne Arbeitspapiere, seien dagegen durch § 51b Abs. 4 WPO von Auskunfts- und Herausgabeansprüchen ausgenommen.
Das LG gab der Klage mit Teil- und Endurteil statt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Gründe:
Die Beklagte wird zur Auskunftserteilung und Einsicht in die genannten Handakten verurteilt. Sie muss außerdem, wie vom Kläger beantragt, konkrete Fragen im Zusammenhang mit der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum 31.12.2016 beantworten. Die Beklagte hat zudem eine Vernichtung der Handakten zu unterlassen. Über den stufenweise geltend gemachten Herausgabeanspruch war vorliegend noch nicht zu entscheiden.
Auch Abschlussprüfer unterliegen grundsätzlich einer umfassenden Auskunfts- und Rechenschaftspflicht gegenüber dem Auftraggeber, ungeachtet ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit und ungeachtet ihrer Weisungsfreiheit. Der (hier vom Insolvenzverwalter geltend gemachte) Anspruch des Mandanten erstreckt sich auf Auskunft und auf Einsicht in die Handakten insbesondere auch auf die Arbeitspapiere, die zu Recht als wichtige Ergänzung zum Prüfungsbericht gelten, denn sie müssen sämtliche Prüfungsnachweise enthalten und sollen der Stützung der Prüfungsaussagen dienen.
Im Rahmen des § 666 BGB muss der Abschlussprüfer dem Auftraggeber in verkehrsüblicher Weise die notwendige Übersicht und die Kenntnis von den wesentlichen Einzelheiten der entfalteten Prüfungstätigkeit verschaffen. § 51b Abs. 4 WPO darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass sämtliche Dokumente, mit deren Hilfe der Wirtschaftsprüfer den Fortgang der entfalteten Prüfungstätigkeit festhält, dem Zugriff des Mandanten von vornherein entzogen wären. Die Norm schränkt lediglich die Herausgabe von Unterlagen ein, nicht jedoch den Auskunftsanspruch des Auftraggebers durch Einsicht in die Unterlagen.
Die Frage, ob die Beklagte gegenüber den Wirecard-Gesellschaften für etwaige Schäden haftet, war nicht Gegenstand des Verfahrens. Nachdem die Klage jedoch nach klägerischer Darstellung der Prüfung und Verfolgung möglicher Ersatzansprüche in mehrstelliger Millionenhöhe dient, setzte die Kammer den Streitwert auf 13 Mio. € fest.
Aufsatz:
Kausalität bei der Haftung von Wirtschaftsprüfern nach § 826 BGB
Petra Buck-Heeb, AG 2022, 337
Abrufbar auch im Beratermodul AG - Die Aktiengesellschaft:
Das exklusive Beratermodul für einen gezielten digitalen Zugriff auf sämtliche Inhalte der AG. 4 Wochen gratis nutzen!