19.12.2016

Zu den Voraussetzungen für familiengerichtliche Weisungen an die Eltern bei Gefährdung des Kindeswohls

Die von § 1666 Abs. 1 BGB vorausgesetzte Kindeswohlgefährdung ist gegeben, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Eine solche Kindeswohlgefährdung liegt etwa vor, wenn die Mutter und ihr minderjähriges Kind mit einem Lebensgefährten, der in der Vergangenheit wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern rechtskräftig verurteilt worden ist, zusammenziehen.

BGH 23.11.2016, XII ZB 149/16
Der Sachverhalt:
Die allein sorgeberechtigte Mutter zog Mitte 2015 mit ihrer damals siebenjährigen Tochter in den Haushalt ihres Lebensgefährten ein. Dieser war in den Jahren 2000 und 2004 wegen mehrerer Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern, in einem davon in Tateinheit mit Vergewaltigung, rechtskräftig verurteilt worden und hatte deshalb eine viereinhalbjährige Freiheitsstrafe bis Dezember 2009 vollständig verbüßt. Im Rahmen der anschließend angeordneten und bis Februar 2016 dauernden Führungsaufsicht war ihm im April 2015 verboten worden, zu Kindern und Jugendlichen weiblichen Geschlechts Kontakt aufzunehmen, außer in Begleitung und unter Aufsicht eines Sorgeberechtigten. Ferner war er im Jahr 2012 wegen Besitzes von kinder- und jugendpornographischen Schriften und im Jahr 2013 wegen Nachstellung rechtskräftig verurteilt worden.

Auf Anregung des Jugendamts entzog das AG im Juli 2015 der Mutter Teile des Sorgerechts und bestellte insoweit das Jugendamt als Ergänzungspfleger. Auf dessen Veranlassung wohnte das Kind dann zunächst bei einer befreundeten Familie und anschließend in einem Kinderhaus. Auf die Beschwerde der Mutter setzte das OLG die Wirksamkeit dieses Beschlusses im September 2015 aus und erteilte der Mutter sowie dem Lebensgefährten Weisungen. Der Mutter untersagt es, das Kind ohne ihre gleichzeitige Anwesenheit mit dem Lebensgefährten verkehren zu lassen und zwischen 22 Uhr und 8 Uhr den Aufenthalt des Kindes in derselben Wohnung wie der Lebensgefährte zuzulassen. Gegen den Lebensgefährten sprach es entsprechende Verbote aus. Ferner gab es der Mutter auf, jederzeit unangekündigte Besuche des Jugendamts oder vom Jugendamt hiermit beauftragter Personen zu gestatten.

Das Mädchen kehrte daraufhin in den Haushalt der Mutter zurück. Mit dem angegriffenen Beschluss änderte das OLG die Entscheidung des AG ab und wiederholte die bereits ausgesprochenen Weisungen. Die Voraussetzungen eines (teilweisen) Sorgerechtsentzugs lägen zwar nicht vor. Angesichts einer bei dem Lebensgefährten sachverständig festgestellten 30-prozentigen Rückfallwahrscheinlichkeit seien aber die angeordneten Ge- und Verbote erforderlich. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Mutter, mit der sie den Wegfall der Ge- und Verbote anstrebte, blieb vor dem BGH ohne Erfolg.

Gründe:
Nach § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht die zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen zu treffen, zu deren Abwendung die sorgeberechtigten Personen nicht gewillt oder in der Lage sind. Eine solche Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerwiegender der drohende Schaden ist. Die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit muss allerdings in jedem Fall auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen. Außerdem muss der drohende Schaden für das Kind erheblich sein. Selbst bei hoher Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines nicht erheblichen Schadens sind Maßnahmen nach § 1666 BGB nicht gerechtfertigt.

Danach hat das OLG zu Recht die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 BGB bejaht. Es hat mit sachverständiger Hilfe eine zwar nicht überwiegende, aber durchaus erhebliche Gefahr festgestellt, dass der Lebensgefährte gegenüber dem Kind in ähnlicher Weise übergriffig wird wie in den Fällen, die seinen Verurteilungen in den Jahren 2000 und 2004 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zugrunde lagen. Die darauf fußende Annahme, wegen des dem Kind drohenden schwerwiegenden Schadens, der mit einem sexuellen Missbrauch verbunden wäre, bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Schädigung, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Auch die einzelnen Maßnahmen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit sie einen erheblichen Eingriff in Grundrechte der Kindesmutter und ihres Lebensgefährten bedeuten, sind sie in § 1666 Abs. 3 und 4 BGB ausdrücklich benannt oder den dort aufgezählten Maßnahmen vergleichbar. Die erteilten Weisungen genügen zudem dem stets zu beachtenden - und für den Fall der Trennung des Kindes von der elterlichen Familie in § 1666 a BGB ausdrücklich geregelten - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Sie sind also zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen geeignet, erforderlich und den Beteiligten auch zumutbar.

Insbesondere kann dem 13-jährigen Bruder des Mädchens nicht zugemutet werden, durch seine ständige Anwesenheit die Ge- und Verbote zu ersetzen. Ebenso können technische Maßnahmen wie eine akustische Überwachung des Kinderzimmers mittels eines Babyphones oder eines Signals beim Öffnen der Tür zum Kinderzimmer keine hinreichende Sicherung bewirken. Angesichts der schweren möglichen Folgen eines nur einmaligen Missbrauchs sind die getroffenen Maßnahmen auch im Hinblick auf die erhebliche Beeinträchtigung der Lebensführung der Mutter, des Kindes und des Lebensgefährten und unter Berücksichtigung des festgestellten Grades der Rückfallgefahr zumutbar.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
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BGH PM Nr. 231 vom 16.12.2016