Zum Rechnungsmerkmal "vollständige Anschrift" bei der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug
KurzbesprechungUStG § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
MwStSystRL Art. 226
Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG muss eine Rechnung die Angabe des vollständigen Namens und der vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers enthalten. Nach der Rechtsprechung des BFH sind § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht voraussetzt, dass die wirtschaftliche Tätigkeit des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt wird, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist. Vielmehr reicht jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, aus, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.
Im Streitfall reichten die Feststellungen des FG nicht aus, um zu entscheiden, ob der Steuerpflichtige ein Recht zum Abzug der aus den in Frage stehenden Rechnungen geltend gemachten Vorsteuerbeträge hat. Das FG hatte nämlich vor Ergehen des EuGH-Urteils Geissel und Butin (UR 2017, 970) zu Recht keine Feststellungen zur postalischen Erreichbarkeit im Zeitpunkt der Rechnungserstellung getroffen.
Das FG muss daher im zweiten Rechtsgang ermitteln, ob die Rechnungsaussteller unter den angegebenen Adressen jedenfalls erreichbar waren. Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt der Rechnungsausstellung. Denn der EuGH hat Art. 226 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) in der Weise teleologisch ausgelegt, dass die Angaben, die eine Rechnung enthalten muss, es den Steuerverwaltungen ermöglichen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer und gegebenenfalls das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts zu kontrollieren. Die Angaben sollen es ermöglichen, eine Verbindung zwischen einer bestimmten wirtschaftlichen Transaktion und einem konkreten Wirtschaftsteilnehmer, dem Rechnungsaussteller, herzustellen. Diese Kontrollmöglichkeit besteht für das FA erst mit der Erstellung der Rechnung sowie deren Kenntnisnahme und nicht im Zeitpunkt der Leistungserbringung.
Lässt sich eine Erreichbarkeit zu diesem Zeitpunkt nicht ermitteln, trifft die Feststellungslast den Leistungsempfänger. Der Unternehmer, der den Vorsteuerabzug geltend macht, hat die Darlegungs‑ und Feststellungslast für alle Tatsachen, die den Vorsteuerabzug begründen.
BFH, Urteil vom 5.12.2018, XI R 22/14, veröffentlicht am 6.2.2019.