03.04.2017

Zum Umgang mit einer ungewöhnlichen Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete

Bei Beurteilung eines Mieterhöhungsverlangens ist der Tatrichter in Fällen, in denen zwischen dem Erhebungsstichtag eines Mietspiegels und dem Zugang des Zustimmungsverlangens nachträglich ungewöhnliche Steigerungen der ortsüblichen Vergleichsmiete festzustellen sind, im Rahmen des ihm dabei zukommenden weiten Beurteilungsspielraums befugt, einen Stichtagszuschlag vorzunehmen, wenn ihm dies zur Bildung einer sachgerechten Einzelvergleichsmiete angemessen erscheint.

BGH 15.3.2017, VIII ZR 295/15
Der Sachverhalt:
Die Beklagten sind seit 1988 Mieter einer den Klägern gehörenden und nach der Wohnflächenangabe im Mietvertrag ca. 99 m² großen Wohnung in Reutlingen. Die seit vielen Jahren unveränderte Miete beläuft sich auf monatlich 660 € zzgl. einer Betriebskostenvorauszahlung von 130 €. Nicht umgelegt, sondern in der Miete enthalten sind dabei allerdings die monatlichen Aufwendungen der Kläger für Grundsteuer und Sachversicherungen sowie die Nutzung eines Garagenstellplatzes.

Unter Bezugnahme auf den Reutlinger Mietspiegel Mai 2013 und ausgehend von einer tatsächlichen Wohnungsgröße von 105 m² forderten die Kläger die Beklagten auf, einer Erhöhung der Miete um 122,35 € ab Februar 2014 zuzustimmen. Dabei rechneten die Kläger zur Bestimmung der zum Vergleich heranzuziehenden Nettomiete der Wohnung aus der bisher gezahlten Miete einen von ihnen mit 48,24 € bezifferten Betriebskostenanteil für die Grundsteuer und die Sachversicherungen heraus. Die Beklagten akzeptierten die Erhöhung hinsichtlich eines Teilbetrages von 40 € und wiesen das darüber hinausgehende Mieterhöhungsbegehren der Kläger zurück.

AG und LG gaben der auf Zustimmung zur begehrten Mieterhöhung gerichteten Klage i.H.v. monatlich weiteren 22 € statt, was unter Berücksichtigung des von den Beklagten akzeptierten Betrages eine monatlich zu zahlende Miete von 722 € ergab und wiesen die Klage im Übrigen ab. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten vor dem BGH blieb erfolglos.

Gründe:
Das Berufungsgericht hatte die Zulassung der Revision wirksam auf die Frage der rechtlichen Zulässigkeit des genannten Stichtagszuschlags und seiner Berechnung beschränkt. Soweit die Revision zulässig ist, hat sie in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das LG hatte nämlich rechtsfehlerfrei angenommen, dass ein Stichtagszuschlag in der genannten Höhe gerechtfertigt ist und dass die Kläger danach eine Mieterhöhung um weitere 22 € auf nunmehr 722 € monatlich beanspruchen können.

Nach § 558 Abs. 1 S. 1 BGB kann ein Vermieter die Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen, wenn die Miete seit 15 Monaten unverändert geblieben ist. Die ortsübliche Miete wird dabei nach § 558 Abs. 2 S. 1 BGB aus den üblichen Entgelten gebildet, die in der Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe und Ausstattung, Beschaffenheit und Lage in den letzten vier Jahren vereinbart oder, von Veränderungen nach § 560 BGB abgesehen, geändert wurde. Insoweit hat der Senat aufgrund der wirksam allein auf den Stichtagszuschlag und dessen Bemessung beschränkten Revisionszulassung der Beurteilung, ob die von den Vermietern verlangte Mieterhöhung den dafür bestehenden Anforderungen gerecht wird, ungeprüft zugrunde zu legen, dass sich die zwecks Herstellung einer Vergleichbarkeit um das Garagennutzungsentgelt und die Betriebskostenanteile für die Grundsteuer und die Sachversicherungen zu bereinigende Einzelvergleichsmiete für die im Streit stehende Wohnung nach den dafür maßgeblichen und mit Stand Mai 2013 ermittelten Vergleichsmerkmalen des Mietspiegels 2013 der Stadt Reutlingen in einer Preisspanne 5,40 € bis 7,15 € bewegt, deren Mittelwert sich auf 6,275 €/ m² zzgl. eines Fassadendämmungszuschlags von zwei Prozent beläuft.

In zeitlicher Hinsicht ist zur Beurteilung der Berechtigung einer vom Vermieter nach § 558 BGB begehrten Mieterhöhung auf den Zugang des Zustimmungsverlangens abzustellen, der damit auch den Zeitpunkt für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete festlegt, bis zu der ein Anspruch auf Erhöhung der Miete besteht. Hier lagen zwischen diesem Zeitpunkt und dem Zeitpunkt, auf den der vom Berufungsgericht zur Vergleichsmietenbestimmung herangezogene Reutlinger Mietspiegel aktualisiert wurde (Mai 2013), etwa sieben Monate. Ob es dem mit der Beurteilung der Berechtigung einer Mieterhöhung befassten Tatrichter gestattet ist, dieser zeitlichen Differenz im Fall einer zwischenzeitlichen Steigerung des Mietpreisniveaus durch Vornahme eines die Steigerung ausgleichenden Zuschlags zu begegnen, ist umstritten.

Der Senat ist der Ansicht, dass bei der dem Tatrichter obliegenden Prüfung, ob die konkret vom Vermieter verlangte Mieterhöhung nach § 558 BGB tatsächlich berechtigt ist, die ortsübliche Vergleichsmiete zwar nur auf der Grundlage von Erkenntnisquellen bestimmt werden darf, welche die tatsächlich und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen in hinreichender Weise ermittelt haben. Danach ist der Tatrichter im Rahmen seiner freien Überzeugungsbildung aber nicht auf das im Erhöhungsverlangen des Vermieters genannte Begründungsmittel i.S.d. § 558a Abs. 2 BGB beschränkt. Existiert ein ordnungsgemäßer Mietspiegel, darf dieser vom Tatrichter (mit-)berücksichtigt werden, wobei im Fall eines qualifizierten Mietspiegels sogar die in § 558d Abs. 3 BGB vorgesehene Vermutungswirkung zum Tragen kommt. Im Fall eines - wie hier - einfachen Mietspiegels stellt sich bei der richterlichen Überzeugungsbildung die Frage, ob diesem eine mögliche Indizwirkung hinsichtlich der richtigen Wiedergabe der ortsüblichen Vergleichsmiete durch die dort angegebenen Entgelte Bedeutung zukommt.

Danach obliegt es dem Tatrichter, anhand aller zu beachtenden Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob es bei Heranziehung eines Mietspiegels zur Bildung der Einzelvergleichsmiete sachgerecht erscheint, auf den sich danach ergebenden Wert einen Stichtagszuschlag vorzunehmen. Die Erwägungen, die das Berufungsgericht dazu angestellt hatte, und das von ihm gefundene Ergebnis hielten sich im Rahmen des ihm dabei zukommenden weiten tatrichterlichen Beurteilungsspielraums und waren aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Indizwirkung ist nicht notwendig auf den Erhebungszeitpunkt beschränkt, sondern kann sich auch auf einen nachfolgenden Zeitpunkt innerhalb des von § 558c Abs. 3 BGB beschriebenen Zweijahreszeitraums erstrecken, wenn kein zureichender Anhalt für eine ungewöhnliche Mietpreisentwicklung in die eine wie die andere Richtung besteht. Auch einem in der Folgezeit angepassten Mietspiegel kommt für dessen zeitlichen Geltungsbereich eine entsprechende Indizwirkung zu.

Während der für die Wohnung maßgebliche Mittelwert des Mietspiegels 2013 noch bei 6,275 €/ m² gelegen hat, lag derjenige des Mietspiegels 2015 bereits bei 7,05 €/ m², was für die dazwischen liegenden 19 Monate einer Steigerungsrate von insgesamt 12,35 Prozent entsprach. Dies durfte das Berufungsgericht zum Anlass nehmen, die Indizwirkung des Mietspiegels 2013 für die Bildung der im Streit stehenden Einzelvergleichsmiete als in zeitlicher Hinsicht für geschwächt zu erachten und einen Stichtagszuschlag vorzunehmen.

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