Zum Vorleistungsanspruch gem. § 19a Abs. 2 S. 2 BNotO
BGH 11.6.2014, IV ZR 414/12Die Klägerin nimmt die Beklagte als Berufshaftpflichtversicherer des ehemaligen, inzwischen in Insolvenz befindlichen Notars Dr. S. wegen von diesem begangener Pflichtverletzungen auf Schadensersatz i.H.v. rd. 1.7 Mio. € in Anspruch. Den von der Klägerin unter Berufung auf das Absonderungsrecht gem. § 157 VVG a.F. erhobenen Ansprüchen, die zur Insolvenztabelle festgestellt sind, liegt folgendes Geschehen zugrunde:
Der Notar beurkundete Kaufverträge zwischen einer Verkäuferin und insgesamt 15 Käufern über Wohneigentum, wobei die Klägerin den Käufern in allen Fällen Finanzierungskredite bewilligt hatte, die sie von einem Eigenanteil der Käufer an der Finanzierung abhängig gemacht hatte. Dieser Eigenanteil konnte auch in der Übernahme der Kaufnebenkosten liegen. Nach allen beurkundeten Verträgen waren die Kaufnebenkosten vom jeweiligen Käufer zu tragen. Tatsächlich wurden Gerichtskosten und Grunderwerbssteuer in keinem einzigen Fall vom Käufer, sondern aufgrund einer vom Notar mit der Verkäuferin getroffenen Vereinbarung aus den von der Klägerin zur Erfüllung des Kaufpreisanspruchs der Verkäuferin mit Treuhandauftrag überwiesenen Verwahrgeldern bezahlt, nachdem der Notar die entsprechenden Beträge zuvor auf sein Kanzleikonto umgeleitet hatte.
Auf diesem Wege wurde das von der Klägerin mit ihren Kreditnehmern abgestimmte Finanzierungskonzept hintergangen, indem diese den darin vorgesehenen Eigenanteil nicht leisteten. Nach § 4 Abs. 3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen des zwischen der Beklagten und dem Notar geschlossenen Versicherungsvertrages (AVB-N) bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schadenverursachung durch wissentliche Pflichtverletzung. Die Beklagte hält sich im Hinblick hierauf für nicht leistungspflichtig. Die Klägerin meint, dass die Beklagte dann zumindest im Hinblick auf die von der Streithelferin der Beklagten als zuständiger Notarkammer für den Notar geschlossene Vertrauensschadenversicherung, die Schäden aus wissentlicher Pflichtverletzung abdeckt, gem. § 19a Abs. 2 S. 2 BNotO vorleistungspflichtig sei.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Steht eine wissentliche Pflichtverletzung des Notars im Raum, so kommt der Vorleistungsanspruch gegen den Berufshaftpflichtversicherer gem. § 19a Abs. 2 S. 2 BNotO bereits dann in Betracht, wenn Letzterer unter Berufung hierauf die Regulierung ablehnt, gegen das Bestehen des Deckungsanspruchs aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag aber keine weiteren Einwendungen erhebt. Ein Streit zwischen Anspruchsteller und Berufshaftpflichtversicherer über diesen Punkt ist nicht erforderlich.
Der Gesetzgeber hatte bei Einführung der Regelung des § 19a Abs. 2 S. 2 BNotO einen Streit der beiden Versicherer vor Augen, die auf den jeweils anderen verweisen, und wollte, dass diese ihn untereinander austragen. Dagegen soll sich der Mandant des Notars, wenn klar ist, dass jedenfalls einer der beiden Versicherer leistungspflichtig ist (weil "nur" die wissentliche Pflichtverletzung streitig ist), im Interesse zügiger Schadenregulierung an den Berufshaftpflichtversicherer halten können. Letzterem stehen zum Ausgleich der Forderungsübergang (§ 19a Abs. 2 S. 3 BNotO) und ein Anspruch auf Aufwendungsersatz (§ 19a Abs. 2 S. 4 BNotO) gegen den Vertrauensschadenversicherer zu, so dass die Streitfrage im Regressprozess zwischen diesen beiden Versicherern geklärt werden kann. Soweit dabei im Gesetz vom Übergang des Anspruchs gegen einen sonstigen "Ersatzberechtigten" die Rede ist, handelt es sich um ein offensichtliches Redaktionsversehen des Gesetzgebers; gemeint ist "Ersatzverpflichteten".
Der Zweck der zügigen Schadenregulierung würde verfehlt, sofern der Geschädigte nicht beim Berufshaftpflichtversicherer liquidieren könnte, wenn in ihrem Verhältnis die Frage der wissentlichen Pflichtverletzung geklärt ist, der Vertrauensschadenversicherer, den dieses nicht bindet, dagegen nach wie vor nicht regulierungsbereit ist. Die Frage der wissentlichen Pflichtverletzung soll nach der gesetzlichen Konzeption wenn es keine weiteren Streitpunkte gibt nicht zwischen dem Geschädigten und dem Berufshaftpflichtversicherer, sondern allein zwischen Letzterem und dem Vertrauensschadenversicherer geklärt werden. Allein dies sollte daher mit der Formulierung "nur streitig" zum Ausdruck gebracht werden.
Der mögliche Anspruch der Klägerin entfällt nicht deswegen, weil inzwischen auch der Vertrauensschadenversicherer die Amtspflichtverletzung des Notars als wissentlich begangen betrachtet. Diese Feststellung des OLG beruht auf einem Schreiben des Vertrauensschadenversicherers vom 17.8.2012, das erst im Verlauf des Rechtsstreits verfasst worden ist. Die Klägerin war auch nicht etwa gehalten, von sich aus vor einer Inanspruchnahme der Beklagten an den Vertrauensschadenversicherer heranzutreten, um dessen Leistungsbereitschaft zu klären. Auch dies würde dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen. Lediglich eine vorsorgliche Schadenmeldung wird er dem Vertrauensschadenversicherer gegenüber bei drohendem Ablauf der Anzeigefrist abgeben müssen.
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