Zur Anwendbarkeit der Sicherungsverwahrung in der Übergangszeit bis zur gesetzlichen Neuregelung
BGH 19.10.2011, 2 StR 305/11Der Angeklagte hatte seit 28 Jahren in immer gleicher Weise, teilweise auch während Hafturlauben, eine Vielzahl von Banküberfällen begangen, wegen derer er mehrfach zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurde. Dabei bedrohte er jeweils mit einer Spielzeugpistole Bankangestellte und Bankkunden und erpresste Bargeldbeträge. Er trat jeweils unmaskiert auf, zeigte keinerlei über die Drohung hinausgehende aggressive Tendenzen und vermied körperliche Konfrontationen.
Eine früher angeordnete Sicherungsverwahrung war zur Bewährung ausgesetzt worden; die Aussetzung wurde später widerrufen. Wegen zweier erneuter, wiederum gleichartiger Taten verurteilte das LG den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten und ordnete (erneut) die Sicherungsverwahrung an. Auf die Revision des Angeklagten hob der BGH die Maßregelanordnung auf und ließ die Sicherungsverwahrung entfallen.
Die Gründe:
Das BVerfG hat im Urteil vom 4.5.2011 (2 BvR 2365/09 u.a.) die Gesamtregelung der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt. Nach einer zugleich erlassenen Übergangsanordnung sind die verfassungswidrigen Regelungen bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber nur ausnahmsweise und nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung anwendbar, um in besonders schwerwiegenden Einzelfällen die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu ermöglichen. Eine Anordnung ist danach in der Regel nur bei Vorliegen der konkreten Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte zulässig.
Diese Voraussetzungen lagen im konkreten Fall nicht vor. Für die Beurteilung kommt es nicht auf die Bezeichnung des gesetzlichen Tatbestandes als "schwerer Raub" an, sondern darauf, ob konkrete Gefahren einer Verletzung der Rechtsgüter Leib, Leben oder sexuelle Selbstbestimmung gegeben sind. Gefahren für Vermögen oder Eigentum reichen nicht aus; ebenso wenig bloße Beeinträchtigungen der psychischen Befindlichkeit oder der Freiheit der Willensbetätigung.
Eine Drohung mit Gewalt gegen Leib oder Leben ist nach diesem für die vorübergehende Fortgeltung der verfassungswidrigen Norm besonders strengen Maßstab nur dann als "schwere Gewalttat" anzusehen, wenn objektiv die Gefahr körperlicher Gewalteinwirkung besteht oder der Täter diese Möglichkeit einkalkuliert. Im vorliegenden Fall war dies nach den Feststellungen des LG ausgeschlossen.
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