01.12.2016

Zur Aufklärungspflicht eines Arztes im Hinblick auf das Risiko einer Lähmung

Ärzte müssen Patienten zwar über das Risiko der Lähmung des Beines oder Fußes aufzuklären. Ohne Vorliegen besonderer Umstände gibt es aber grundsätzlich keinen Grund für die Annahme, der im Rahmen der Aufklärung verwendete Begriff "Lähmung" impliziere nicht die Gefahr einer dauerhaften Lähmung, sondern sei einschränkend dahin zu verstehen, dass er nur vorübergehende Lähmungszustände erfasse.

BGH 11.10.2016, VI ZR 462/15
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Sportlehrer und Handballtrainer. Ihm war wegen einer Hüftkopfnekrose vom Beklagten zu 2) in der Klinik der Beklagten zu 1) im Juni 2010 eine Hüftgelenktotalendoprothese implantiert worden. Infolge der Operation leidet der Kläger an einer Plexusläsion, einer Fußheber- einschließlich einer Zehenheberparese und einer Fußsenkerparese. Ihm ist es seitdem nicht mehr möglich, normal zu stehen und zu gehen; auch Sport kann er nicht mehr treiben. Das Aufklärungsgespräch am Tag vor der Operation hatte eine Assistenzärztin durchgeführt. An diesem Tag unterzeichnete der Kläger einen Aufklärungsbogen, in dem auf das Risiko von "Nervenverletzungen" hingewiesen wurde, die "dauerhafte Störungen wie z.B. eine Teillähmung des Beines verursachen können."

Der Kläger behauptete, die Nervenverletzung sei durch Behandlungsfehler während und unmittelbar nach der Operation verursacht worden. Zudem sei er vor der Operation über das Risiko einer dauerhaften Lähmung nicht aufgeklärt worden. Das LG wies die Klage ab. Das OLG änderte das landgerichtliche Urteil dahingehend, dass es die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 40.000 € verurteilte und die Ersatzpflicht der Beklagten für weitere immaterielle und materielle Schäden festgestellte. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Rechtsfehlerhaft war die Annahme des Berufungsgerichts, dass bei Bestehen des Risikos einer nicht nur vorübergehenden Lähmung der vorliegenden Art eine Aufklärung über das Risiko einer "Lähmung" nicht genüge, sondern über das Risiko einer "dauerhaften Lähmung" aufgeklärt werden müsse.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss der Patient nur "im Großen und Ganzen" über Chancen und Risiken der Behandlung aufgeklärt werden. Nicht erforderlich ist die exakte medizinische Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken. Dem Patienten muss aber eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern. Dabei ist über schwerwiegende Risiken, die mit einer Operation verbunden sind, grundsätzlich auch dann aufzuklären, wenn sie sich nur selten verwirklichen. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet, wobei es auf die individuelle Verständnismöglichkeit und damit auch auf den Zustand des Patienten ankommt.

Insofern ist auch in für den Patienten verständlicher Weise über das einem Eingriff spezifisch anhaftende Risiko einer Lähmung aufzuklären. Ohne Vorliegen besonderer Umstände gibt es jedoch grundsätzlich keinen Grund für die Annahme, der im Rahmen der Aufklärung verwendete Begriff "Lähmung" impliziere nicht die Gefahr einer dauerhaften Lähmung, sondern sei einschränkend dahin zu verstehen, dass er nur vorübergehende Lähmungszustände erfasse. Damit, dass der Patient einer solchen Fehlvorstellung unterliegt, muss - bei Fehlen entsprechender Anhaltspunkte - der aufklärende Arzt nicht rechnen.

Infolgedessen hatten die Beklagten lediglich nachzuweisen, dass der Kläger vor der Operation über das Risiko einer "Lähmung" aufgeklärt worden war; des Nachweises einer Aufklärung über das Risiko einer "dauerhaften Lähmung" bedurfte es hingegen nicht. Etwas anderes ergab sich auch nicht aus den Angaben des Klägers in seiner persönlichen Anhörung vor dem Berufungsgericht, er habe sich unter dem Begriff "Lähmung" nicht automatisch vorgestellt, dass das Risiko einer dauernden Lähmung bestehen könne, und er habe nicht nachgefragt, weil er aufgeregt gewesen sei und auch nur die Hälfte von dem mitbekommen habe, was die Ärztin geäußert habe.

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