Zur Bedürfnisprüfung der Landesjustizverwaltung bei der Entscheidung über die Wiederbesetzung einer Notarstelle
BGH 5.3.2012, NotZ(Brfg) 5/11Der Kläger ist seit 1991 Notar in E. Nach einem "Erlass" des Thüringer Justizministeriums aus dem Jahr 1994 war vorgesehen, dass eine Mittelzahl von 1.500 (bereinigten) Geschäftsvorfällen als ausreichend anzusehen sei für eine gute Alimentierung eines Notars einerseits und eine einwandfreie Versorgung der Bevölkerung mit notariellen Dienstleistungen andererseits.
Ab 1998 entwickelten sich die Beurkundungszahlen in Thüringen allerdings rückläufig. Das Urkundsaufkommen im Amtsgerichtsbezirk E. ging zwischen 2002 und 2008 von 16.680 Urkunden auf ca. 10.000 zurück. Infolgedessen hielt die beklagte Landesjustizverwaltung nicht mehr an dem "Erlass" fest, sondern nahm eine Einzelbetrachtung vor, ob eine frei gewordene Notarstelle eingezogen oder wieder besetzt werden sollte. Nach Anhörung der Notarkammer und der örtlichen Notare entschied sich die Beklagte dafür, die in E. zum Ende August 2009 frei gewordene Stelle des Notars auszuschreiben und wieder zu besetzen.
Hiergegen wandte sich der Kläger und meinte, die Ausschreibung und Besetzung der frei gewordenen Notarstelle widerspreche § 4 BNotO. Er machte geltend, dass die Notariatsstruktur in E. ungesund sei. Unter Berücksichtigung der eingezogenen Notarstelle in E. ergab sich für 2010 unter Zugrundelegung einer geschätzten Kostenquote von rund 70 % ein monatlicher Durchschnittsgewinn vor Steuern von mind. 9.450 €. Der Kläger hatte selbst im Jahr 2008 eine bereinigte Urkundenzahl von 957,4 und erzielte einen steuerlichen Gewinn von 76.500 €.
Das OLG verurteilte die Beklagte dazu, die ausgeschriebene Notarstelle nicht erneut zu besetzen. Auf die Berufung der Beklagten hob der BGH das Urteil auf und wies die Klage ab.
Die Gründe:
Der Kläger kann von der Beklagten nicht beanspruchen, dass sie die Besetzung der ausgeschriebenen Notarstelle in E. unterlässt.
Ein Notar kann seine Aufgabe nur erfüllen, wenn ihm ein solches Maß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit gewährleistet ist, dass er sich nötigenfalls wirtschaftlichem Druck widersetzen kann. Darüber hinaus muss die Justizverwaltung, wenn sie sich bei der Bedürfnisprüfung nach § 4 BNotO durch eine Richtlinie oder ständige Übung gebunden hat, die entsprechenden Prüfungsmaßstäbe grundsätzlich beachten, um eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der von ihren Maßnahmen betroffenen Notare zu vermeiden.
Gemessen an diesen Maßstäben war die Entscheidung der Beklagten, die frei gewordene Notarstelle neu zu besetzen, nicht zu beanstanden. Bei einem ein monatlichen Durchschnittsgewinn vor Steuern von mind. 9.450 € konnte nicht von einer Gefährdung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Notare im Amtsgerichtsbezirk E. ausgegangen werden. Der Kläger war deshalb in dieser Hinsicht in seinen subjektiven Rechten nicht verletzt. Er selbst lag mit seinem steuerlichen Gewinn deutlich außerhalb des Bereichs, in dem eine Beeinträchtigung seiner Unabhängigkeit als Notar zu besorgen wäre.
Letztlich hatte die Beklagte auch einen hinreichenden Grund dafür, von der ursprünglichen Ermessensausübung nach dem "Erlass" von 1994 abzuweichen. Denn ein Festhalten an den alten Zahlen würde bedeuten, dass neben den bislang seit mehr als zehn Jahren bereits eingezogenen Notarstellen auf absehbare Zeit keine frei werdende Notarstelle im Freistaat Thüringen mehr besetzt werden könnte. Es lag deshalb ein hinreichender sachlicher Grund vor, von der ursprünglichen Verwaltungspraxis abzuweichen und in eine Einzelfallbetrachtung einzutreten.
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