23.04.2012

Zur Befreiung eines Syndikusanwalts von der Rentenversicherungspflicht

Ein "Credit Manager und Volijurist" kann von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit werden, wenn er etwa seine internen Mandanten hinsichtlich der rechtlichen Kriterien der Vertragsgestaltung berät, Darlehensverträge mitverhandelt und mitunterschreibt sowie die Auszahlung anweist und letztlich intern Vorträge über rechtliche Themen der Vertragsgestaltung und Rechtsänderungen hält.

SG München 23.8.2011, S 12 R 1574/10
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Volljuristin und Mitglied der Rechtsanwaltskammer. Kraft Gesetzes ist sie zudem Mitglied der Bayerischen Versorgungskammer. Seit Oktober 2000 arbeitet die Klägerin bei einer Bank. Zunächst wurde sie als Bankangestellte eingestellt. Später wechselte sie in die Stellung des Credit Managers und ist auf dem Gebiet der Immobilienfinanzierung und Vertragsstrukturierung tätig. Dabei erstellt, verhandelt und unterzeichnet sie Darlehensverträge in der Größenordnung von mehrsteIligen Millionenbeträgen. Seit 2010 wird die Klägerin außertariflich bezahlt, seit 2011 lautet ihre Funktionsbezeichnung "Spezialistin Vertragstrukturierung Advisory Real Estate".

Ende November 2009 hatte die Klägerin einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung beantragt. Ihr Arbeitsgeber bestätigte, dass sie rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsgestaltend und rechtsvermittelnd tätig sei. Außerdem attestierte er, dass für die Stellenbesetzung als Credit Manager eine Qualifikation als Volljurist vorausgesetzt worden war.

Die Beklagte lehnte die Befreiung ab. Eine Tätigkeit als Sachbearbeiter sei weisungsgebunden und stehe den Grundsätzen der freien Berufsausübung des Rechtsanwalts entgegen. Die Klägerin hielt dagegen, sie berate ihre internen Mandanten, die Kundenbetreuer (diese werden von den Kunden - Darlehensnehmer, meist Kliniken und andere Unternehmen - wegen eines Darlehens kontaktiert) hinsichtlich der rechtlichen Kriterien der Vertragsgestaltung. Die Darlehensverträge würden von ihr mitverhandelt und müssten - nach internen Vorgaben - stets von ihr mitunterschrieben werden. Die Auszahlung von Geld erfolge nur dann, wenn sie nach Vertragsabschluss entschieden habe, dass die Vertragsbedingungen von Seiten des Darlehensnehmers erfüllt seien. Sie halte zudem intern Vorträge über rechtliche Themen der Vertragsgestaltung und Rechtsänderungen.

Das SG gab der Klage statt.

Die Gründe:
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S.1 Nr. 1 SGB VI ab dem 29.10.2009.

Die Klägerin ist Mitglied der Anwaltskammer (§ 60 BRAO) und aufgrund des "Gesetzes aber die Bayerische Rechtsanwaltsversorgung" Pflichtmitglied im Versorgungswerk. Außerdem lagen auch die ungeschriebenen Tatbestandmerkmale des § 6 Abs. 1 S.1. Nr. 1 SGB VI vor, soweit sie von der Rechtsprechung entwickelt und von der Beklagten anerkannt und angewandt werden. Die Klägerin ist überwiegend rechtsberatend, rechtsentscheidend,
rechtsanwendend und rechtsvermittelnd tätig.

Die Einstufung der Klägerin als Sachbearbeiterin entsprach nicht dem Sachverhalt. Die Klägerin wechselte auf eine Stelle, die intern als "Credit Manager und Volijurist" bezeichnet wurde. Doch kommt es nicht auf die Bezeichnung an, sondern auf die konkrete Arbeitsplatzbeschreibung. Die Klägerin trägt diesbezüglich die Mitverantwortung für die Abwicklung von Verträgen in mehrsteiliger Millionenhöhe. Es war insofern nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nicht als wesentliche Teilhabe an Entscheidungsprozessen angesehen werden konnte. Letztlich war anzumerken, dass in keiner Weise nachvollziehbar war, welche Kriterien nach Ansicht der Beklagten erfüllt sein müssen, damit eine Befreiung für Unternehmensjuristen bejaht wird. Von der Beklagten werden diesbezüglich keine belastbaren Orientierungskriterien oder Prüfschemata vorgelegt. Es war auch kein gleichförmiges Verwaltungshandeln erkennbar.

Sinn und Zweck der berufsständischen Versorgung ist es, dass die Angehörigen von Berufsgruppen, die traditionell in einem Versorgungswerk versichert sind, nicht mit einer doppelten Beitragszahlung belastet werden. Die Befreiung ist bei angestellten Anwälten bei einem anwaltlichen Arbeitgeber grundsätzlich unstreitig. Die Beklagte scheint jedoch das Wesen der heutigen Unternehmensjuristen oft falsch einzuordnen. Rechtsberatung gewinnt in Unternehmen zum einen generell mehr an Bedeutung, zum anderen wird der Beratungsbedarf immer unternehmensspezifischer. Daher entscheiden sich Unternehmen vermehrt zur Beschäftigung von "In-House"-Anwälten, die mit dem Unternehmen vertraut sind und somit ohne Effizienzverluste spezialisierte Beratung leisten können.

Die Klägerin ist dafür ein gutes Beispiel: Nach jahrelanger Tätigkeit in verschiedenen Bereichen des Unternehmens wurde ihr, nunmehr mit dem Unternehmen vertraut und fachlich höchstspezialisiert, eine Stelle angeboten, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Relevanz und hohen Verantwortung von einer Rechtsanwältin ausgeführt werden sollte. Wie ein Unternehmen seine Rechtsanwälte organisatorisch einordnet und bezeichnet, kann für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung keine Bedeutung haben. Sofern die Praxis der Beklagten nicht transparenter und nachvollziehbarer wird, können künftig, im Hinblick auf die wirtschaftliche Relevanz einer zeitnahen Entscheidung für die betroffenen Syndikusanwälte, von den Sozialgerichten noch viele Urteile erwartet werden.

SG München
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