Zur Bemessung des Erwerbsschadens eines Zahnarztes
BGH 19.9.2017, VI ZR 530/16Die Beklagten sind dem Kläger aufgrund eines Verkehrsunfalls aus Oktober 2006 dem Grunde nach uneingeschränkt zum Schadensersatz verpflichtet. Der Kläger ist ein selbständiger Zahnarzt und hatte bei dem Unfall u.a. eine Verletzung am linken Handgelenk erlitten, die ihn bei seiner zahnärztlichen Tätigkeit dauerhaft beeinträchtigte. Mit seiner Klage nahm er die Beklagten auf Schmerzensgeld, Verdienstausfall für sieben Fehltage nach dem Unfall i.H.v. 6.033 € und für den Zeitraum von November 2006 bis Ende Oktober 2011 i.H.v. weiteren 85.500 € in Anspruch.
Das LG verurteilte die Beklagten zur Zahlung von (weiterem) Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 €, Verdienstausfall für sieben Fehltage i.H.v. 6.033 €. Im Übrigen wies es die Klage ab. Das OLG hat das Urteil auf die Berufungen beider Parteien unter Berufungszurückweisung im Übrigen abgeändert und dahin neu gefasst, dass die Beklagten zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes i.H.v. 7.000 € sowie Verdienstausfall i.H.v. 5.824 € verurteilt wurden.
Auf die Revision des Klägers hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben als zum Nachteil des Klägers erkannt worden war und im Umfang der Aufhebung die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Gründe:
Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Anspruch auf Ersatz des weiter geltend gemachten Verdienstausfalls sowie auf Zahlung weiteren Schmerzensgeldes nicht verneint werden, §§ 842, 249 Abs. 1, § 252 S. 2, § 253 Abs. 2 BGB, § 287 Abs. 1 ZPO.
An die schwierige Darlegung der hypothetischen Entwicklung des Geschäftsbetriebs eines Selbständigen dürfen keine zu strengen Maßstäbe angelegt werden. Die Klage darf nicht wegen lückenhaften Vortrags zur Schadensentstehung und Schadenshöhe abgewiesen werden, solange greifbare Anhaltspunkte für eine Schadensschätzung vorhanden sind. Diesen Grundsätzen wurde die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht. Es war zum einen von einem fehlerhaften Rechtsgrundsatz ausgegangen und hatte zum anderen die Anforderungen an einen schlüssigen Vortrag des Geschädigten überspannt.
Rechtsfehlerhaft meinte das OLG, ein im Rahmen der Darlegungen zu § 252 S. 2 BGB, § 287 ZPO schlüssiger Vortrag des Geschädigten setze voraus, dass er einen deutlichen Rückgang gegenüber der vor dem Unfall erzielten Gewinne aufzeige. Für die vom Berufungsgericht aufgestellte Voraussetzung der "Deutlichkeit" gibt es nach den obigen Grundsätzen keine Grundlage. Schon auf der Basis der von ihm zugunsten des Klägers für die streitgegenständlichen Jahre unterstellten Gewinnentwicklung hätte das OLG einen (Mindest-)schaden schätzen können.
Das Berufungsgericht hatte zugunsten des Klägers unterstellt, dass er aufgrund von überpflichtmäßigen, den Beklagten nicht zugutekommenden Anstrengungen seiner Ehefrau seine Personalkosten in den Jahren 2007 und 2008 um 13.500 € sowie 17.500 € habe verringern können. Unter Zugrundelegung der vom OLG angesetzten Gewinne i.H.v. 194.500 € im Jahr 2007 und 192.000 € im Jahr 2008 ergab sich auf dieser Grundlage schlüssig eine gegenüber dem durchschnittlichen Gewinn i.H.v. 187.333,33 € vor dem Unfallereignis unfallbedingte Verringerung des Gewinns von 6.333 € für das Jahr 2007 (194.500 € abzüglich 13.500 €, mithin 181.000 €) und i.H.v. 12.833,33 € für das Jahr 2008 (192.000 € abzüglich 17.500 €, mithin 174.500 €).
Infolgedessen steht dem Kläger (schon) danach mehr als die Hälfte des von ihm für beide Jahre geforderten Einnahmeausfalls i.H.v. 34.000 € zu. Sind - wozu das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hatte - die vorgelegten Gewinnermittlungen um die Ausgaben des Klägers für die von ihm geplante Zweigpraxis zu bereinigen, steht der geltend gemachte Anspruch dem Kläger bei Abzug der - unterstellt - eingesparten überpflichtmäßigen Personalkosten sogar in voller Höhe zu.
Das Berufungsgericht hat die von ihm festgestellten und von dem Kläger vorgetragenen konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die erlittenen Verletzungen zu einem Gewinnrückgang geführt hatten, übergangen und die Anforderungen an einen schlüssigen Vortrag deutlich überspannt (§ 287 ZPO). Es hat sich bei seiner Betrachtung zu Unrecht auf die beiden Jahre nach dem Unfallereignis beschränkt und die Entwicklungen, die sich danach ergeben haben, außer Acht gelassen.
Linkhinweise:
- Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
- Für den Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.