Zur Einhaltung der im Fall der Nichtzulassungsbeschwerde sechsmonatigen Rechtsmittelfrist bei einem noch nicht zugestellten Urteil
BGH 12.2.2015, IX ZR 156/14Der Kläger verlangt von der beklagten S Zahlung von Masseprovision für die freihändige Veräußerung von zur Masse gehörenden, zugunsten der Beklagten belasteten Grundstücken aufgrund einer Vereinbarung, die die Parteien unterschiedlich auslegen. Seine Klage wurde durch Urteil vom 30.5.2005 abgewiesen. Das Berufungsgericht sah weiteren Klärungsbedarf, weswegen die Parteien auf Vorschlag des Gerichts einen widerruflichen Vergleich schlossen. Für den Fall des Widerrufs bestimmte das Gericht einen Verkündungstermin auf den 22.6.2006. Der Kläger widerrief den Vergleich.
Im Juni 2009 suchte der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Berufungsgericht auf, um Akteneinsicht zu nehmen. Dabei stellte er fest, dass ein handschriftlich ausgefülltes und unterschriebenes Verkündungsprotokoll mit dem Datum des 22.6.2006 und ein handschriftlicher, unterschriebener Urteilstenor lose bei der Akte lagen. Von diesen Urkunden sind Leseabschriften gefertigt und den Parteien am 11.2.2014 zugestellt worden. Am 4.7.2014 legte der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil ein und begründete diese am 4.8.2014.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gem. § 544 Abs. 1 S. 2 Fall 2, § 544 Abs. 2 S. 1 Fall 2 ZPO unzulässig. Sie wurde nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils beim BGH eingelegt und nicht innerhalb von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils begründet, sondern mehr als sieben Jahre später. Die Fristen des § 544 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 ZPO am 22.6.2006 waren an- und zum Zeitpunkt des Eingangs der Nichtzulassungsbeschwerde und ihrer Begründung abgelaufen.
Bei dem Urteil vom 22.6.2006 handelt es sich um ein Urteil im Rechtssinne. Denn es ist an diesem Tag wirksam verkündet worden, wie das Protokoll vom 22.6.2006 belegt. Nach § 165 S. 1 ZPO kann die Beachtung der vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden. Zu diesen Förmlichkeiten gehört nach § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO auch die Verkündung des Urteils. Ausweislich des Verkündungsprotokolls vom 22.6.2006 wurde in Abwesenheit der Parteien durch den Einzelrichter "anliegendes Urteil verkündet". Dem Erfordernis des § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO ist damit genügt und gem. § 165 S. 1 ZPO ist die Verkündung des in Bezug genommenen Urteils vom 22.6.2006 bewiesen. Durch den Verweis auf das anliegende Urteil ist der Bezug zwischen dem Verkündungsprotokoll und dem verkündeten Urteil eindeutig und muss das Verkündungsprotokoll nicht fest mit dem verkündeten Urteil verbunden sein. Denn ein anderes Urteil als das angefochtene findet sich nicht bei den Akten.
Dass bis Sommer 2009 das Verkündungsprotokoll und der Entscheidungstenor nicht in die Gerichtsakte eingeheftet und paginiert, sondern lose in die Aktentasche eingelegt waren, ist insoweit unschädlich. In dieser Aktentasche befanden sich noch weitere Papiere, die dem Klägervertreter nicht zur Akteneinsicht ausgehändigt wurden. Eine dienstliche Stellungnahme der Geschäftsstelle, was der Inhalt dieser Papiere war, findet sich nicht bei den Akten, einer solchen bedurfte es auch nicht. Denn der Vorsitzende hat dem Kläger mitgeteilt, dass es sich hierbei um Überstücke von Anwaltsschriftsätzen, Senatsentscheidungen und insbesondere um die Aufzeichnungen der bearbeitenden Richter handele, die nicht Aktenbestandteil sind. Nach dieser Auskunft befand sich keine andere Entscheidung bei den Akten. Das Verkündungsprotokoll kann sich deswegen allein auf das nunmehr in die Gerichtsakte eingegliederte Urteil beziehen. Damit ist eine zweifelsfreie Zuordnung des Verkündungsprotokolls zu dem verkündeten Urteil möglich, ohne dass es auf eine körperliche Verbindung dieser Schriftstücke ankommt.
Das Berufungsgericht hat bei der Verkündung des angefochtenen Urteils auch nicht mit der Folge gegen unerlässliche Formvorschriften verstoßen, dass das verkündete Urteil als Nichturteil angesehen werden müsste. Zwar war das angefochtene Urteil entgegen § 310 Abs. 2 ZPO bei der Verkündung nicht in vollständiger Form abgefasst. Doch ist die Verkündung eines Urteils in einem dazu anberaumten Termin auch dann wirksam, wenn das Urteil bei der Verkündung noch nicht in vollständiger Form vorliegt. Nach § 165 S. 2 ZPO kann die Beweiskraft der Sitzungsniederschrift nur durch den Nachweis der Protokollfälschung zerstört werden. Eine solche Fälschung liegt jedoch nicht vor.
Im Übrigen hatte das Berufungsgericht zwar Bedenken geäußert, ob die Sache entscheidungsreif sei, der Kläger konnte sich aber nicht sicher sein, dass das Gericht nur einen Hinweis- oder Beweisbeschluss verkünden würde. Denn das Berufungsgericht hat am Schluss der Verhandlung einen "Termin zur Verkündung einer Entscheidung" anberaumt. In einem solchen Fall müssen die Parteien auch mit dem Erlass eines Urteils rechnen. Nachdem der Verkündungstermin verstrichen war, ohne dass dem Kläger eine Entscheidung zugestellt worden war, hat er nicht alles ihm Zumutbare unternommen, den Inhalt der verkündeten Entscheidung in Erfahrung zu bringen. Vielmehr hat er sich erstmals mit Schriftsatz vom 3.4.2009 - also über anderthalb Jahre nach Ablauf der Rechtsmittelfrist - nach der Entscheidung erkundigt.
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