16.05.2011

Zur Einordnung des Postausgangsfachs eines Rechtsanwalts als "letzte Station"

Eine fristwahrende Maßnahme darf im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und das Postausgangsfach "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist. Das Postausgangsfach ist nicht "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten, wenn eine Mitarbeiterin die in dem Postausgangsfach gesammelten Schriftsätze noch in Umschläge einsortieren muss.

BGH 12.4.2011, VI ZB 6/10
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG gab der Klage teilweise statt. Gegen das am 7.9.2009 zugestellte Urteil legte die Klägerin mit einem am 2.10.2009 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung ein. Nachdem bis zum 11.11.2009 weder eine Berufungsbegründung noch ein Fristverlängerungsantrag übermittelt worden war, wies das OLG die Klägerin darauf hin, dass beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Daraufhin ging am 17.11.2009 die Berufungsbegründung ein, verbunden mit dem Antrag, der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gem. § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Zur Begründung führte die Klägerin aus, ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung am 4.11.2009 diktiert. In dem Diktat habe er - wie üblich - die Anweisung gegeben, die Berufungsbegründungsfrist nach Ausfertigung und Unterzeichnung des betreffenden Schriftsatzes als erledigt zu kennzeichnen. Die Berufungsbegründung habe eine Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte am Tag des Diktats erstellt und dem Rechtsanwalt zur Unterschrift vorgelegt. Anschließend habe sie diese weisungsgemäß als erledigt gekennzeichnet und den Schriftsatz in das Postausgangsfach des Büros gelegt. Gegen 16.45 Uhr habe dann - wie jeden Tag - eine Büromitarbeiterin die in dem Postausgangsfach gesammelten Schriftstücke in einen Postbriefkasten eingeworfen.

Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie die Berufungsbegründungsfrist schuldlos versäumt habe (§ 236 Abs. 2 S. 1 ZPO). Das Postausgangsfach werde dazu genutzt, die Sendungen zu sammeln, die am gleichen Tag per Briefpost das Haus verlassen sollten. Die Schriftstücke würden dort in Umschläge einsortiert, mit Briefmarken versehen und gegen 16.45 Uhr zum Briefkasten gebracht. Es entspreche nicht den Anforderungen an die Büroorganisation, die Frist zur Berufungsbegründung bereits nach Ausfertigung des Schriftsatzes und Unterzeichnung als erledigt zu kennzeichnen. Zudem sei das Postausgangsfach nicht die sog. "letzte Station" vor dem Verbringen zum Briefkasten gewesen.

Der BGH verwarf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Klägerin.

Die Gründe:
Das OLG hat die Anforderungen an die anwaltliche Organisation in Bezug auf fristgebundene Schriftsätze nicht überspannt.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbes. einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird.

Ist dies geschehen und ist die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet, so darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Das ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist.

Im Streitfall wurde die Berufungsbegründung bereits nach Ausfertigung des Schriftsatzes und Unterzeichnung durch den Prozessbevollmächtigten sowohl im elektronischen als auch im Handfristenkalender als erledigt gekennzeichnet. Zudem wurde nach der eidesstattlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten das Postausgangsfach dafür genutzt, die Post zu sammeln, die am gleichen Tage per Briefpost herausgehen sollte. Dieses Fach wurde an jedem Werktag von einer Mitarbeiterin geleert, die Briefe wurden in Umschläge einsortiert, mit Briefmarken versehen und dann zum Briefkasten der Deutschen Post verbracht. Die Kennzeichnung als erledigt erfolgte also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Schriftsatz weder abgesandt noch zumindest postfertig gemacht worden war.

Auch nachdem die das Diktat des Rechtsanwalts bearbeitende Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte den Schriftsatz in das Postausgangsfach gelegt hatte, war dieser noch nicht postfertig, weil eine Mitarbeiterin die in dem Postausgangsfach gesammelten Schriftsätze noch in Umschläge einsortieren musste. Zwar hat die Rechtsprechung das bloße Frankieren der Briefe als unschädlich angesehen, jedoch kann man bei der vorliegenden allgemeinen Anweisung nicht davon ausgehen, dass der Schriftsatz in dem Sinne postfertig in das Postausgangsfach als "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten gelegt wurde, dass er unmittelbar zum Briefkasten gebracht werden konnte.

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