Zur Einstellung der Zwangsvollstreckung und Aufhebung von Pfändungsbeschlüssen durch den BGH
BGH 31.5.2017, VII ZB 2/17Mit Urteil des Berufungsgerichts in Brüssel vom 16.11.2011 wurde die Schuldnerin verurteilt, an die Gläubigerin den Gegenwert von rd. 6,9 Mi. USD in Euro zzgl. Zinsen und Verfahrenskosten zu zahlen. Das LG Frankfurt a.M. erklärte dieses Urteil mit Beschluss vom 23.9.2016 für vollstreckbar und setzte die von der Schuldnerin bis zur Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung zu erbringende Sicherheitsleistung auf 13,2 Mio. € fest. Die Vollstreckbarerklärung wurde der Schuldnerin erst am 9.5.2017 zugestellt.
Auf Grundlage der mit der Vollstreckungsklausel versehenen Vollstreckbarerklärung pfändete das AG auf Antrag der Gläubigerin durch Beschluss vom 12.10.2016 Forderungen der Schuldnerin gegen mehrere Drittschuldner. Auf die Erinnerung der Schuldnerin hob es mit Beschluss vom 7.11.2016 den Pfändungsbeschluss auf und machte die Wirksamkeit des Aufhebungsbeschlusses von seiner Rechtskraft abhängig. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wies das LG mit Beschluss vom 16.1.2017 zurück. Wie das AG nahm auch das LG an, ein Pfändungsbeschluss habe vor Zustellung der Vollstreckbarerklärung nicht erlassen werden dürfen. Gegen die Entscheidung des LG legte hat die Gläubigerin die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ein.
Die Schuldnerin legte Hinterlegungsbescheinigungen vor, nach denen sie am 21.11.2016 und am 23.3.2017 bei der Gerichtskasse F Beträge von rd. 12,9 Mio. € und rd. 300.000 € - insgesamt somit rd. 13,2 Mio. € - hinterlegt hat. Sie begehrt die Einstellung der Zwangsvollstreckung und die Aufhebung des Pfändungsbeschlusses. Der BGH gab dem Antrag statt.
Die Gründe:
Entsprechend § 20 Abs. 2 AVAG ist die Zwangsvollstreckung einzustellen und der erlassene Pfändungsbeschluss aufzuheben.
Die Regelung des § 20 Abs. 2 AVAG entspricht § 775 Nr. 3, § 776 S. 1 ZPO. Liegt ein in § 775 ZPO (oder entsprechend in § 20 Abs. 2 AVAG) benanntes Vollstreckungshindernis vor, stellt das Vollstreckungsorgan von Amts wegen die Vollstreckung ein. Für die Pfändung von Forderungen ist grundsätzlich das AG als Vollstreckungsgericht zuständiges Vollstreckungsorgan, §§ 764, 828 ZPO. Jedenfalls soweit diesbezüglich ein zulässiges Rechtsmittelverfahren anhängig ist, geht die Zuständigkeit kraft Devolutiveffekts auf das jeweilige Rechtsmittelgericht über. Aufgrund der zulässigen Rechtsbeschwerde der Gläubigerin ist daher der BGH in Bezug auf den angefochtenen Pfändungsbeschluss zuständiges Vollstreckungsorgan.
Die Voraussetzungen für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung und eine Aufhebung des Pfändungsbeschlusses nach § 20 Abs. 2 AVAG sind gegeben, weil die Schuldnerin durch Vorlage von öffentlichen Urkunden nachgewiesen hat, dass sie Sicherheit i.H.v. 13,2 Mio. € geleistet hat. Die Beurteilung dieses von Amts wegen zu berücksichtigenden Vollstreckungshindernisses unterliegt nicht den im Rechtsbeschwerdeverfahren geltenden Beschränkungen gem. § 577 Abs. 2 S. 4 i.V.m. § 559 Abs. 1 S. 1 ZPO. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Hindernis - wie hier durch Hinterlegung am 23.3.2017 - erst während des Rechtsbeschwerdeverfahrens entstanden ist. Denn es geht nicht um eine Überprüfung der Entscheidung des Beschwerdegerichts, sondern um die vom BGH als nun zuständigem Vollstreckungsorgan zu beachtenden Grenzen der Vollstreckung.
Die Höhe der von der Schuldnerin geleisteten Sicherheitsleistung entspricht der Festsetzung in der Vollstreckbarerklärung vom 23.9.2016, die erkennbar eine Sicherheit i.S.v. § 20 AVAG betrifft. Sie reicht daher zur Abwendung der Zwangsvollstreckung vor Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung aus. Ob die hinterlegten 13.200.000 € dem Betrag entsprechen, wegen dessen der Berechtigte vollstrecken darf (§ 20 Abs. 1 AVAG), kann insoweit offen bleiben. Da allein die inländische Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung die maßgebliche Grundlage für die Zwangsvollstreckung in Deutschland ist, ist eine Zwangsvollstreckung nicht über die in der Vollstreckbarerklärung enthaltenen Beschränkungen hinaus zulässig. Zu diesen Beschränkungen gehört auch die Festsetzung, dass die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in einer bestimmten Höhe abgewendet werden kann.
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