20.07.2011

Zur Erhebung von Sanierungsgeldern durch die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder

Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) hat zu Recht von an ihr beteiligten Arbeitgebern sog. Sanierungsgelder gefordert. Beteiligte Arbeitgeber werden dadurch nicht i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen benachteiligt; § 65 VBLS ist einer Inhaltskontrolle nach den AGB-rechtlichen Maßstäben des BGB weitgehend entzogen, weil er auf einer maßgebenden Grundentscheidung der Tarifvertragsparteien basiert.

BGH 19.7.2011, IV ZR 76/09 u.a.
Der Sachverhalt:
Die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) hat die Aufgabe, den Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Mit Neufassung ihrer Satzung (VBLS) vom 22.11.2002 stellte sie ihr Zusatzversorgungssystem nach einer Vereinbarung der Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Alterversorgung von März 2002 (ATV) rückwirkend zum 31.12.2001 um. Damit wurde das frühere endgehaltsbezogene Gesamtversorgungssystem aufgegeben und durch ein auf einem Punktemodell beruhendes Betriebsrentensystem ersetzt.

Im Abrechnungsverband West, dem die Kläger angehören, werden die Aufwendungen der Beklagten seit 1967 über ein modifiziertes Abschnittsdeckungsverfahren (Umlageverfahren) finanziert. Der Umlagesatz ist so bemessen, dass die für die Dauer des Deckungsabschnitts zu entrichtende Umlage zusammen mit den übrigen zu erwartenden Einnahmen und dem verfügbaren Vermögen der Beklagten für die Ausgaben während des Deckungsabschnitts sowie der darauf folgenden sechs Monate ausreicht. Nach § 65 VBLS n.F. erhebt die Beklagte im Abrechnungsverband West ab dem 1.1.2002 neben Umlagen pauschale Sanierungsgelder zur Deckung eines zusätzlichen Finanzierungsbedarfs. Die Einführung des Sanierungsgeldes geht auf den Tarifvertrag Altersvorsorgeplan 2001 von November 2001 (AVP) und den ATV zurück.

Die Kläger entrichteten jeweils auf Anforderung der Beklagten für die Jahre 2002 und 2003 Sanierungsgelder und fordern diese Beträge mit der Begründung zurück, es fehle an einer wirksamen Rechtsgrundlage für die Erhebung der Sanierungsgelder. Sie meinen, die Beklagte sei als Anstalt des öffentlichen Rechts unter Missachtung des Gesetzesvorbehalts und daher nicht wirksam errichtet worden. Bereits deshalb sei § 65 VBLS n.F. rechtswidrig und könne keine Grundlage für die Anforderung der Sanierungsgelder darstellen. Weiterhin beanstanden die Kläger, dass die Vorgaben im AVP und im ATV in § 65 VBLS n.F. nicht inhaltsgleich umgesetzt worden seien und die Berechnung der Sanierungsgelder fehlerhaft sei. Ohnehin könnten in der Satzung der Beklagten übernommene Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien für sie als sonstige, nicht tarifgebundene Beteiligte nicht maßgeblich sein.

LG und OLG wiesen die Klagen ab. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Kläger hatten vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
§ 65 VBLS ist nicht mangels rechtlicher Existenz der Beklagten rechtswidrig. Diese ist zwar nicht durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes gegründet worden. Sie ist gleichwohl als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts existent, weil sie die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes im Februar 1929 wirksam errichtete Zusatzversorgungsanstalt des Reichs und der Länder fortführt. Im Übrigen hat das OLG zu Recht die Beklagte unabhängig von etwaigen Gründungsmängeln entsprechend der Lehre vom fehlerhaften Verband als existent angesehen. Danach ist eine fehlerhaft errichtete juristische Person des öffentlichen Rechts als wirksam entstanden zu behandeln, sobald sie - wie die Beklagte - im Rechtsverkehr aufgetreten und damit in Vollzug gesetzt worden ist.

Durch die in § 65 VBLS enthaltenen Regelungen über Sanierungsgelder werden beteiligte Arbeitgeber nicht i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen benachteiligt. § 65 VBLS ist einer Inhaltskontrolle nach den AGB-rechtlichen Maßstäben des BGB weitgehend entzogen, weil er auf einer - im ATV und im AVP getroffenen - maßgebenden Grundentscheidung der Tarifvertragsparteien basiert. Diese wirkt sich auch auf das Versicherungsverhältnis zwischen der Beklagten und den nicht tarifgebundenen sonstigen Beteiligten aus, die über ihre Beteiligungsvereinbarungen an das Satzungsrecht der Beklagten gebunden sind und dessen Überlagerung durch das Tarifvertragsrecht hinnehmen müssen. Bei der Umsetzung und inhaltlichen Ausgestaltung von Grundentscheidungen genießt der Satzungsgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, die die Gerichte grundsätzlich zu respektieren haben.

Der gleichwohl gebotenen verfassungsrechtlichen Überprüfung hält § 65 VBLS stand. Die Verteilung und Berechnung der Sanierungsgelder verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Auch die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit sind gewahrt. Schließlich widerspricht die Erhebung von Sanierungsgeldern nicht dem Gemeinschaftsrecht, insbes. nicht den Regeln der Wettbewerbsfreiheit nach Art. 101, 102 AEUV. Diese gelten nur für Unternehmen, nicht aber für Sozialversicherungssysteme, die - wie die Beklagte - nach dem Grundsatz der Solidarität im Rahmen einer Umlagefinanzierung aufgebaut sind und nicht über eine hinreichende Autonomie verfügen.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier
BGH PM Nr. 133 vom 19.7.2011
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