Zur Haftung des Schädigers für psychische Beeinträchtigungen bei unterlassener Weiterbehandlung
BGH 10.2.2015, VI ZR 8/14Die Klägerin wurde im September 2005 von Nachbarn herbeigerufen, nachdem ihr fast 4-jähriger Sohn beim Spielen auf die Straße gelaufen und dort von einem Pkw erfasst worden war. Sie fand ihren Sohn mit einer erheblichen Verletzungen vor und machte geltend, als Reaktion hierauf habe sich bei ihr ein posttraumatisches Belastungssyndrom entwickelt, das sich in Magersucht, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule äußere und es ihr unmöglich mache, weiterhin den Haushalt zu führen.
Die Klägerin begehrte von der Haftpflichtversicherung des Fahrers Ersatz materiellen und immateriellen Schadens. Das LG hat die Klage sachverständig beraten abgewiesen; das OLG hat ihr nach weiteren Beweisen teilweise stattgegeben. Das Berufungsgericht führte aus, die Klägerin habe zwar bewiesen, dass bei ihr aus dem Erlebnis der Unfallverletzung ihres Sohnes ein posttraumatisches Belastungssyndrom eingetreten sei. Ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfall und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei jedoch nur bis Ende 2007 gegeben, weil die Klägerin die ihr angebotenen Therapiemöglichkeiten nicht wahrgenommen habe, auch wenn ihr dies nicht im Sinn eines "Mitverschuldens" vorzuwerfen sei.
Auf die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Gründe:
Mit Erfolg rügte die Klägerin, dass das Berufungsgericht den Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin auf die Zeit bis Ende 2007 begrenzt hatte. Ihr Unterlassen, sich einer weiteren Behandlung zu unterziehen, konnte weder mit einer Fehlverarbeitung noch mit einer Begehrensneurose gleichgesetzt werden. Das Unfallgeschehen war keine Bagatelle. Die Kausalität zwischen dem Unfallgeschehen und den Gesundheitsbeeinträchtigungen konnte auch nicht wegen fehlender Adäquanz verneint werden. Eine Haftung für die Folgen ab 2008 könnte nur unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht entfallen. Die Voraussetzungen hatte das OLG jedoch ausdrücklich verneint.
Möglicherweise hatte das OLG aber die für die Annahme eines Mitverschuldens erforderlichen Anforderungen überspannt. Von dem Verletzten muss nämlich verlangt werden, dass er, soweit er dazu imstande ist, zur Heilung oder Besserung seiner Krankheit oder Schädigung die nach dem Stande der ärztlichen Wissenschaft sich darbietenden Mittel anwendet; er darf in der Regel nicht anders handeln, als ein verständiger Mensch, der die Vermögensnachteile selbst zu tragen hat, es bei gleicher Gesundheitsstörung tun würde. Der Umstand, dass die Klägerin sich nach den getroffenen Feststellungen mit Rücksicht auf die mit einer Behandlung verbundene Trennung von ihren Kindern nicht weiter therapieren ließ, könnte ein Mitverschulden begründen, wenn der Klägerin eine weitere Behandlung der Essstörung zumutbar gewesen wäre. Dazu hat die Vorinstanz bislang keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
Letztlich rügte die Anschlussrevision mit Erfolg, dass sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen ließ, ob das OLG bei seiner Annahme, bei der Klägerin sei aus dem Erlebnis der Unfallverletzung ihres Sohnes ein posttraumatisches Belastungssyndrom eingetreten, berücksichtigt hatte, dass die Klägerin an dem Unfall weder direkt beteiligt war noch ihn unmittelbar miterlebt hatte. Nach anerkannter medizinischer Definition wird ein posttraumatisches Belastungssyndrom durch ein schwerwiegendes traumatisches Erleben ausgelöst. Es handelt sich um eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Ob sich das von der Klägerin erlebte Geschehen als ein derart schwerwiegendes traumatisches Erleben darstellt, ließen die Darlegungen der Sachverständigen nicht erkennen.
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