Zur Haftung von Fluglinien für Verletzungen eines Passagiers an Bord
EuGH, C-532/18: Schlussanträge des Generalanwalts vom 26.9.2019
Der Sachverhalt:
Im August 2015 befand sich die damals sechsjährige Klägerin des Ausgangsverfahrens auf einem Flug der Luftfahrtgesellschaft Niki Luftfahrt GmbH, einer Gesellschaft österreichischen Rechts, zwischen Spanien und Österreich. Das Kind saß neben seinem Vater, der während des Fluges von der Flugbegleiterin einen Pappbecher ohne Abdeckung mit heißem Kaffee erhielt, den er auf dem vor ihm angebrachten Abstellbrett abstellte. In der Folge begann dieser Becher zu rutschen, und sein Inhalt ergoss sich über das Kind, das dadurch Verbrühungen zweiten Grades an einem Teil des Körpers erlitt. Es konnte nicht festgestellt werden, ob das Umkippen des Kaffeebechers durch eine Mangelhaftigkeit des Abstellbretts oder durch ein Vibrieren des Flugzeugs verursacht wurde.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, gesetzlich vertreten durch ihren Vater, erhob nach Art. 17 Abs. 1 (Tod und Körperverletzung von Reisenden) des Übereinkommens von Montreal über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, das integraler Bestandteil des Unionsrechts ist, Klage auf Verurteilung von Niki Luftfahrt zum Ersatz des Schadens, der durch den Unfall während dieses Fluges verursacht worden sei, i.H.v. 8.500 € zzgl. Zinsen und Kosten. Die Insolvenzverwalterin der nunmehr insolventen Luftfahrtgesellschaft wies das Vorliegen einer Haftung zurück und machte geltend, es liege kein Unfall im Sinne dieser Bestimmung vor, da kein "plötzliches und unerwartetes Ereignis" zum Umkippen des Kaffeebechers geführt habe. Jedenfalls habe sich kein "für die Luftfahrt typisches Risiko", nämlich kein luftfahrtspezifisches Risiko verwirklicht; diese Voraussetzung müsse jedoch ebenso erfüllt sein.
Nach Art. 17 des Übereinkommens von Montreal hat "der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat". Der mit der Sache befasste Oberste Gerichtshof in Österreich ersucht den EuGH, die Konturen dieses nicht näher definierten Unfallbegriffs (erstmals) auszuleuchten. Insbesondere wird der EuGH gefragt, ob es erforderlich ist, dass das Ereignis an Bord eines Flugzeugs nicht nur plötzlich oder ungewöhnlich war und durch eine äußere Einwirkung auf den betreffenden Fluggast hervorgerufen wurde, sondern auch auf einem für die Luftfahrt typischen oder mit ihr zusammenhängenden Risiko beruht.
Nach Ansicht von Generalanwalt Saugmandsgard Øe ist das nicht der Fall.
Die Gründe:
Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal ist dahin auszulegen, dass jedes den Tod oder eine Körperverletzung eines Reisenden verursachendes, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen plötzlich oder ungewöhnlich eintretendes Ereignis, das von außen auf den Reisenden einwirkt, einen Unfall darstellt, der nach dieser Bestimmung die Haftung des Luftfrachtführers begründen kann, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob das Ereignis auf einem für die Luftfahrt typischen oder mit ihr unmittelbar zusammenhängenden Risiko beruht.
Daher können nach Ansicht des Generalanwalts Umstände wie im vorliegenden Fall unter diesen Unfallbegriff fallen. Für den Geschädigten wäre es oftmals übermäßig schwierig, das Vorliegen eines für die Luftfahrt typischen Risikos oder eines Kausalzusammenhangs mit der Luftfahrt nachzuweisen, da er keinen Zugang zu allen technischen Daten betreffend den Flugverkehr oder -betrieb hat, über die nur das Luftfahrtunternehmen verfügt.
Zudem würde die in Art. 17 vorgesehene Regel durch solche Erfordernisse weitgehend ihres Inhalts beraubt, da zahlreiche Schadensereignisse von der Einstufung als Unfall im Sinne dieser Bestimmung auszuschließen wären, weil sie in ähnlicher Weise auch unter anderen Lebensumständen als dem Luftverkehr, nämlich im täglichen Leben, vorkommen könnten. Dieser Ausschluss würde daher zu einer beträchtlichen Verringerung der Fälle führen, in denen die Haftung eines Luftfrachtführers auf der Grundlage dieser Bestimmung begründet werden könnte, indem diese Fälle auf schwerste Störungen im Luftverkehr wie starke Turbulenzen oder Absturz des Luftfahrzeugs beschränkt würden.
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Im August 2015 befand sich die damals sechsjährige Klägerin des Ausgangsverfahrens auf einem Flug der Luftfahrtgesellschaft Niki Luftfahrt GmbH, einer Gesellschaft österreichischen Rechts, zwischen Spanien und Österreich. Das Kind saß neben seinem Vater, der während des Fluges von der Flugbegleiterin einen Pappbecher ohne Abdeckung mit heißem Kaffee erhielt, den er auf dem vor ihm angebrachten Abstellbrett abstellte. In der Folge begann dieser Becher zu rutschen, und sein Inhalt ergoss sich über das Kind, das dadurch Verbrühungen zweiten Grades an einem Teil des Körpers erlitt. Es konnte nicht festgestellt werden, ob das Umkippen des Kaffeebechers durch eine Mangelhaftigkeit des Abstellbretts oder durch ein Vibrieren des Flugzeugs verursacht wurde.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, gesetzlich vertreten durch ihren Vater, erhob nach Art. 17 Abs. 1 (Tod und Körperverletzung von Reisenden) des Übereinkommens von Montreal über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, das integraler Bestandteil des Unionsrechts ist, Klage auf Verurteilung von Niki Luftfahrt zum Ersatz des Schadens, der durch den Unfall während dieses Fluges verursacht worden sei, i.H.v. 8.500 € zzgl. Zinsen und Kosten. Die Insolvenzverwalterin der nunmehr insolventen Luftfahrtgesellschaft wies das Vorliegen einer Haftung zurück und machte geltend, es liege kein Unfall im Sinne dieser Bestimmung vor, da kein "plötzliches und unerwartetes Ereignis" zum Umkippen des Kaffeebechers geführt habe. Jedenfalls habe sich kein "für die Luftfahrt typisches Risiko", nämlich kein luftfahrtspezifisches Risiko verwirklicht; diese Voraussetzung müsse jedoch ebenso erfüllt sein.
Nach Art. 17 des Übereinkommens von Montreal hat "der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat". Der mit der Sache befasste Oberste Gerichtshof in Österreich ersucht den EuGH, die Konturen dieses nicht näher definierten Unfallbegriffs (erstmals) auszuleuchten. Insbesondere wird der EuGH gefragt, ob es erforderlich ist, dass das Ereignis an Bord eines Flugzeugs nicht nur plötzlich oder ungewöhnlich war und durch eine äußere Einwirkung auf den betreffenden Fluggast hervorgerufen wurde, sondern auch auf einem für die Luftfahrt typischen oder mit ihr zusammenhängenden Risiko beruht.
Nach Ansicht von Generalanwalt Saugmandsgard Øe ist das nicht der Fall.
Die Gründe:
Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal ist dahin auszulegen, dass jedes den Tod oder eine Körperverletzung eines Reisenden verursachendes, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen plötzlich oder ungewöhnlich eintretendes Ereignis, das von außen auf den Reisenden einwirkt, einen Unfall darstellt, der nach dieser Bestimmung die Haftung des Luftfrachtführers begründen kann, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob das Ereignis auf einem für die Luftfahrt typischen oder mit ihr unmittelbar zusammenhängenden Risiko beruht.
Daher können nach Ansicht des Generalanwalts Umstände wie im vorliegenden Fall unter diesen Unfallbegriff fallen. Für den Geschädigten wäre es oftmals übermäßig schwierig, das Vorliegen eines für die Luftfahrt typischen Risikos oder eines Kausalzusammenhangs mit der Luftfahrt nachzuweisen, da er keinen Zugang zu allen technischen Daten betreffend den Flugverkehr oder -betrieb hat, über die nur das Luftfahrtunternehmen verfügt.
Zudem würde die in Art. 17 vorgesehene Regel durch solche Erfordernisse weitgehend ihres Inhalts beraubt, da zahlreiche Schadensereignisse von der Einstufung als Unfall im Sinne dieser Bestimmung auszuschließen wären, weil sie in ähnlicher Weise auch unter anderen Lebensumständen als dem Luftverkehr, nämlich im täglichen Leben, vorkommen könnten. Dieser Ausschluss würde daher zu einer beträchtlichen Verringerung der Fälle führen, in denen die Haftung eines Luftfrachtführers auf der Grundlage dieser Bestimmung begründet werden könnte, indem diese Fälle auf schwerste Störungen im Luftverkehr wie starke Turbulenzen oder Absturz des Luftfahrzeugs beschränkt würden.
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