Zur Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners für den Elternunterhalt unter Berücksichtigung von zu leistendem Unterhalt an ein minderjähriges Kind
BGH 15.2.2017, XII ZB 201/16Der Antragsteller begehrt als Sozialhilfeträger von der Antragsgegnerin Elternunterhalt aus übergegangenem Recht. Die Antragsgegnerin und ihre Schwester sind die Töchter des im Jahre 1952 geborenen S, der vom 15.9.2011 bis zum 31.5.2012 in einem Heim untergebracht war und während dieser Zeit von dem Antragsteller Sozialhilfe nach §§ 61 ff. SGB Xll (Hilfe zur Pflege) i.H.v. insgesamt rd. 4.900 € bezog. Die vollschichtig erwerbstätige Antragsgegnerin erzielte ein bereinigtes Nettoeinkommen, das sich nach Abzug zusätzlicher Altersversorgung und weiterer Kreditverbindlichkeiten auf Beträge zwischen rd. 2.700 € und 3.200 € belief.
Die Antragsgegnerin betreute in der hier relevanten Zeit ihren zunächst elf-, später zwölfjährigen Sohn, von dessen Vater sie getrennt lebte und der für das Kind Barunterhalt i.H.v. 235 € mtl. leistete. Die Schwester der Antragsgegnerin verfügte ebenfalls über für den Elternunterhalt einsetzbares Einkommen, und zwar mtl. bis April 2012 i.H.v. rd. 60 € und ab Mai 2012 i.H.v. 130 €. Der Antragsteller verlangte von der Antragsgegnerin anteiligen Unterhalt i.H.v. von rd. 4.400 € abzgl. bereits gezahlter rd. 1.300 €, mithin noch rd. 3.100 €.
Das AG - Familiengericht - gab der Klage statt und verpflichtete die Antragsgegnerin zur Zahlung dieses Betrags nebst Zinsen. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin reduzierte das OLG die Unterhaltspflicht auf rd. 3.000 € nebst Zinsen. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin reduzierte der BGH die Unterhaltspflicht auf rd. 2.900 €.
Die Gründe:
Das OLG hat zu Unrecht den von der Antragsgegnerin für ihr Kind geleisteten Betreuungsunterhalt monetarisiert und von ihrem unterhaltsrelevanten Einkommen abgezogen. Die neben dem Barunterhalt geschuldete Betreuung des Kindes der Antragsgegnerin ist nicht auf Geldleistung gerichtet und lässt sich deswegen auch nicht monetarisieren. Die Betreuung des Kindes ist nicht unmittelbar einkommensmindernd, sondern kann sich unter den Voraussetzungen der §§ 1570 Abs. 1 S. 2 und 3, Abs. 2, 1615 l Abs. 2 S. 4 und 5 BGB die daneben geleistete Erwerbstätigkeit als überobligatorisch darstellen. Dann wäre das neben der Kinderbetreuung erzielte Einkommen im Rahmen der Unterhaltsbemessung nur anteilig zu berücksichtigen Vom unterhaltsrelevanten Einkommen abzusetzen ist allerdings ein nicht anderweitig gedeckter vorrangiger Barunterhalt an das Kind (oder ein an dessen Stelle tretender Naturalunterhalt).
Der Unterhaltsbedarf richtet sich beim Verwandtenunterhalt gem. § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt). Bei minderjährigen Kindern, die noch im Haushalt (mindestens) eines Elternteils leben, handelt es sich dabei um eine abgeleitete Lebensstellung. Sie leitet sich grundsätzlich von beiden Elternteilen ab, so dass bei der Bedarfsbemessung auf die zusammengerechneten Einkünfte beider Eltern abzustellen ist. Insoweit besteht auch kein Unterschied zu einem abgeleiteten Barunterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes, der sich ebenfalls nach den zusammengerechneten Einkünften beider Elternteile bemisst. Auf diesen Unterhaltsbedarf des Kindes ist gem. § 1612 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 BGB das hälftige Kindergeld anzurechnen.
Von den Erwerbseinkünften der Antragsgegnerin ist somit der Barunterhaltsbedarf ihres Kindes nach den gemeinsamen Einkünften der Eltern abzgl. des hälftigen Kindergelds und abzgl. des vom Kindesvater geleisteten Barunterhalts abzusetzen. Demgegenüber ist die andere Hälfte des Kindergelds, die die Antragsgegnerin als betreuender Elternteil erhält, nicht einkommenserhöhend zu berücksichtigen. Zwar hat der Senat für eine weitere Unterhaltspflicht eines zum Kindesunterhalt barunterhaltspflichtigen Unterhaltsschuldners bereits entschieden, dass bei der Bemessung des unterhaltsrelevanten Einkommens nicht der Tabellenunterhalt des Kindesunterhalts, sondern der um das hälftige Kindergeld geminderte tatsächliche Zahlbetrag des Kindesunterhalts abzusetzen ist, so dass sich der auf ihn entfallende Kindergeldanteil einkommenserhöhend auswirkt. Dieses kann auf die dem betreuenden Elternteil zustehende Kindergeldhälfte jedoch nicht übertragen werden.
Nichts ist dagegen zu erinnern, dass das OLG der Antragsgegnerin weder einen pauschalen Betreuungsbonus belassen noch einen Abschlag für überobligationsmäßige Tätigkeit vorgenommen hat. Trifft die Kinderbetreuung mit einer Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils zusammen, ist nach neuerer Senatsrechtsprechung nicht ein pauschaler Betreuungsbonus zu gewähren, sondern hängt es von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab, inwieweit das erzielte Einkommen ganz oder teilweise als überobligatorisch unberücksichtigt bleibt. Konkrete Umstände, die vorliegend eine volle Erwerbstätigkeit der Antragsgegnerin neben der Betreuung ihres zunächst elf- und dann zwölfjährigen Sohnes hinderten, und diese deshalb als überobligatorisch erscheinen ließen, sind allerdings weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Fehlerhafte ist hier lediglich die Bestimmung des Unterhaltsbeginns. Denn von einem Zugang der von der Antragstellerin ausgebrachten Rechtswahrungsanzeige vom 19.9.2011 kann erst am 22.9.2011 ausgegangen werden, so dass rückwirkend erst ab diesem Zeitpunkt übergegangener Unterhalt gefordert werden kann.
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