25.04.2014

Zur Überwachungspflicht des Rechtsanwalts bei einer langjährigen Rechtsanwaltsfachangestellten nach fünf Monaten Anstellung in der Kanzlei

Die Versendung einer Rechtsmittelschrift per Telefax ist eine einfache Bürotätigkeit, mit der eine Rechtsanwaltsfachangestellte mit achtjähriger Berufserfahrung, die seit nahezu sechs Monaten bei einem Anwalt tätig ist, beauftragt werden darf. Dies gilt jedenfalls dann, wenn kein Anlass besteht, an ihrer Zuverlässigkeit zu zweifeln und keine besonderen Umstände vorliegend (etwa: Andauern der Einarbeitungsphase), die eine besondere Kontrolle notwendig machen.

BGH 11.3.2014, VI ZB 45/13
Der Sachverhalt:
Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz. Das AG wies die Klage ab. Das Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 3.7.2013 zugestellt. Am 5.8.2013, einem Montag, ging beim LG per Telefax eine Berufungsschrift aus der Kanzlei der damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers ein. Bei dem per Fax eingegangenen Berufungsschriftsatz fehlte die zweite Seite mit der Unterschrift des Rechtsanwalts des Klägers. Zwei Tage später ging die unterschriebene Berufungsschrift vollständig beim LG ein. Der Vorsitzende der zuständigen Zivilkammer wies mit Verfügung vom 30.8.2013, dem Rechtsanwalt des Klägers zugegangen am 4.9.2013, auf die fehlende Unterschrift unter der fristwahrenden Berufungsschrift hin.

Mit Schriftsatz vom 10.9.2013, per Telefax eingegangen am 13.9.2013, legte der Kläger (erneut) Berufung ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Zur Begründung trug er vor, das Fehlen der Unterschrift auf der per Telefax übermittelten Rechtsmittelschrift beruhe auf einem Versehen der Angestellten K seiner Prozessbevollmächtigten, die dort seit dem 15.2.2013 beschäftigt sei. Rechtsanwalt F habe die Berufungsschrift am 5.8.2013 unterzeichnet und an die Rechtsanwaltsfachangestellte K mit der Maßgabe übergeben, diese an das LG vorab per Telefax und danach im Postwege zu senden. Nach Rücksprache mit K, wonach die durch Rechtsanwalt F unterzeichnete Berufungseinlegungsschrift an das LG ordnungsgemäß und insbes. vollständig vorab per Telefax übermittelt worden sei, sei die Berufungseinlegungsfrist im Kalender gelöscht worden.

Entgegen der ausdrücklichen Anweisung und trotz hinreichender regelmäßiger Überprüfungen habe K allerdings die mit der Unterschrift des Unterzeichners versehene Seite 2 nicht per Telefax, sondern nur auf dem Postwege an das LG übermittelt. K habe sich ansonsten immer als kompetente und stets zuverlässige Fachkraft erwiesen, der auch die Übermittlung fristenbezogener Schriftstücke anvertraut werden könne. K ist seit dem 30.6.2005 ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte.

Das LG wies den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet zurück und verwarf die Berufung des Klägers als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Mit den Erwägungen des LG lässt sich ein dem Kläger gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht begründen.

Der Rechtsanwalt trägt zwar die Verantwortung dafür, dass eine einwandfreie Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zur Erfüllung dieser Pflicht darf der Anwalt aber einfache Aufgaben einer zuverlässigen Angestellten übertragen, ohne dass er die ordnungsgemäße Erledigung im Einzelnen überwachen muss. Vorliegend ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers den ihm obliegenden Sorgfaltsanforderungen gerecht geworden. Der Senat teilt nicht die Auffassung des LG, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass seine Büroangestellte K, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hatte, die konkrete Einzelanweisung befolgen würde, den von ihm unterzeichneten Berufungsschriftsatz per Telefax vollständig an das Berufungsgericht zu senden.

Hätte K die Anweisung befolgt, wäre die Berufungsfrist gewahrt worden. Das für die Fristversäumung ursächliche Versehen der K steht dem Wiedereinsetzungsbegehren des Klägers nicht entgegen. Die Angestellte hat bisher zuverlässig und sorgfältig die ihr übertragenen Aufgaben erfüllt. Die Versendung der Rechtsmittelschrift per Telefax ist eine einfache Bürotätigkeit, mit der eine Rechtsanwaltsfachangestellte mit achtjähriger Berufserfahrung, die seit nahezu sechs Monaten bei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers tätig war, ohne dass ein Anlass bestanden hätte, an ihrer Zuverlässigkeit zu zweifeln, beauftragt werden durfte. Besondere Umstände, die eine besondere Kontrolle von K hätten notwendig machen können, etwa dass sie sich noch in der Phase der Einarbeitung befunden hätte, wurden nicht festgestellt.

Der Rechtsanwalt muss eine eigene Kontrolle beim Einsatz von geschultem und zuverlässigem Personal auch nicht jedenfalls bis zum Ablauf einer sechsmonatigen Probezeit durchführen. Besondere Anforderungen an die notwendige Überwachung von Fristen sind zwar beim Einsatz von nur kurzfristig geschultem und noch nicht während eines längeren Zeitraums erprobtem Büropersonal zu stellen. Doch traf dies für die Angestellte K nicht zu. Dem Rechtsanwalt des Klägers ist auch kein Organisationsverschulden vorzuwerfen, das sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste.

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