22.10.2015

Zur Verkehrssicherungspflicht im Rahmen von Straßenbauarbeiten

Rechtsstreitigkeiten hängen häufig von der Frage der Beweislast ab; kann eine Partei die für sie günstigen Umstände nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, geht dies regelmäßig zu ihren Lasten. Letztlich können Straßenverkehrsteilnehmer aber nicht davon ausgehen, dass alle Straßen schlechthin gefahrlos und frei von allen Mängeln sind. Vielmehr müssen sich die Verkehrsteilnehmer den gegebenen Verhältnissen anpassen und die Straßen so hinnehmen, wie sie sich ihnen erkennbar darbieten.

LG Coburg 11.2.2015, 12 O 522/14
Der Sachverhalt:
Der Kläger war im Sommer 2014 mit dem Fahrrad unterwegs, als er plötzlich auf eine Straße geriet, deren Belag über eine Breite von 80 cm zumindest 4 cm tief aufgefräst war. Die Baustelle war nicht abgesperrt. Links neben dem aufgefrästen Streifen verblieb ein Fahrweg, der keine drei Meter breit war. Der Kläger stürzte und zog sich dabei so erhebliche Verletzungen zu, so dass er mehrere Tage stationär im Krankenhaus behandelt werden und sich anschließend einer mehrwöchigen Reha-Maßnahme unterziehen musste. Von der beauftragten Baufirma und deren verantwortlichen Bauleiter forderte der Kläger später Schmerzensgeld in fünfstelliger Höhe und weitere Schadensersatzpositionen.

Der Kläger konnte sich an die Einzelheiten des Unfallhergangs nicht mehr erinnern, behauptete aber, er sei aufgrund der nicht abgesicherten Auffräsung gestürzt. Bei einer ordnungsgemäßen Absicherung wäre das mit Sicherheit nicht geschehen. Die Beklagten bestritten, dass der Unfall durch die Baustelle verursacht worden sei. Sie behaupteten, der Kläger könne einen Schwächeanfall erlitten haben oder durch die Einwirkung Dritter zu Fall gekommen sein. Jedenfalls träfe den Kläger ein überwiegendes Mitverschulden, da die Baustelle und die Auffräsung bei den zur Unfallzeit besten Wetter- und Sichtbedingungen gut erkennbar gewesen seien.

Das LG wies die Klage ab. Das Urteil ist rechtskräftig.

Die Gründe:
Der Verkehrssicherungspflichtige muss nur diejenigen Gefahren ausräumen, vor denen ein verständiger und sorgfältiger Benutzer sich nicht selbst schützen kann, weil etwa die Gefahrenlage völlig überraschend eintritt oder aber nicht ohne weiteres erkennbar ist. Beides war hier nicht der Fall. Denn angesichts der geringen Tiefe der Auffräsung von 4 cm war eine Absturzsicherung nicht erforderlich. Der Kläger hätte sich vielmehr auf die von ihm erkannte Auffräsung einstellen und notfalls vom Rad absteigen müssen.

Es konnte auch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Sturz des Klägers überhaupt auf die Baustelle zurückzuführen war. Schließlich konnten andere lebensnahe Unfallmöglichkeiten nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. Sowohl der Kläger, der an den Unfallhergang keine Erinnerung mehr hatte, als auch sein Fahrrad, waren neben der Auffräsung gefunden worden. Auch sonstige Spuren, die darauf hätten schließen lassen können, dass der Kläger in der Auffräsung gestürzt war, gab es nicht. Die Beweislast hierfür oblag jedoch dem Kläger als demjenigen, der einen Schadensersatzanspruch geltend gemacht hat.

Rechtsstreitigkeiten hängen häufig von der Frage der Beweislast ab. Kann eine Partei die für sie günstigen Umstände nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, geht dies regelmäßig zu ihren Lasten. Letztlich können Straßenverkehrsteilnehmer aber nicht davon ausgehen, dass alle Straßen schlechthin gefahrlos und frei von allen Mängeln sind. Vielmehr müssen sich die Verkehrsteilnehmer den gegebenen Verhältnissen anpassen und die Straßen so hinnehmen, wie sie sich ihnen erkennbar darbieten. Die Frage, ob durch die unterlassene Absperrung der Baustelle eine Verkehrssicherungspflicht verletzt worden war, konnte offen bleiben. Es waren schon erhebliche Zweifel gerechtfertigt, da der Kläger die aufgefräste Fahrbahnoberfläche rechtzeitig erkannt und sich trotzdem zum Weiterfahren entschieden hatte.

LG Coburg PM v. 19.10.2015