Zur Wohnung i.S.v. § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO gehören auch im Gemeinschaftseigentum stehende Außentreppen sowie Fahrradkeller und Tiefgaragen
BGH 16.5.2013, VII ZB 61/12Die Antragsteller sind Miteigentümer des Objekts B-Str. 32/35 in D. Das Objekt wurde durch die Antragsgegnerin zu 1) errichtet. Der Antragsgegner zu 2) war der planende und bauleitende Architekt. Die Antragsteller betreiben gegen die Antragsgegner ein selbständiges Beweisverfahren. Gegenstand des Verfahrens ist die Feststellung von Mängeln der im Gemeinschaftseigentum stehenden Bausubstanz. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige teilte mit, für eine umfassende sachverständige Feststellung seien Bauteilöffnungen am Gemeinschaftseigentum notwendig.
Mit Zwischenurteil ordnetet das LG "sämtlichen Eigentümern bzw. der Eigentümergemeinschaft" die Duldung von fachmännisch durchgeführten Bauteilöffnungen an der Außentreppe, dem Flachdachanschluss einer Wohnung, im Eingangselement, der Decke des Fahrradkellers und der Tiefgaragendecke an. Die von einer am Beweisverfahren nicht beteiligten Wohnungseigentümerin, der Rechtsbeschwerdegegnerin zu 3), und der Wohnungseigentümergemeinschaft, der Rechtsbeschwerdegegnerin zu 4), eingelegte Beschwerde gegen das Zwischenurteil hatte Erfolg. Das OLG hob das Zwischenurteil auf und lehnte den Antrag auf Duldung der Bauteilöffnung ab.
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Antragsteller hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG hat den Antrag auf Duldung der Bauteilöffnung zu Recht abgelehnt.
Nach § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO kann die Duldung einer Sachverständigenbegutachtung angeordnet werden, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist. Mit dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber an dem Wohnungsbegriff des Art. 13 GG orientiert. I.S.v. Art. 13 GG ist der Wohnungsbegriff umfassend zu verstehen. Schutzgut des Art. 13 GG ist die gesamte räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet. Wohnung ist danach der zu Aufenthalts- oder Arbeitszwecken bestimmte und benutzte Raum einschließlich der Nebenräume und des angrenzenden umschlossenen freien Geländes. Dazu gehören Keller, Speicher, Treppen, Garagen, nicht allgemein zugängliche Geschäfts- und Büroräume und ähnliche Räume sowie umzäunte oder in anderer Weise der öffentlichen Zugänglichkeit entzogene Bereiche wie Gärten oder Vorgärten.
Entscheidend ist, ob der jeweilige Raum oder die jeweilige Fläche für private Zwecke gewidmet und der Öffentlichkeit nicht frei zugänglich ist. Träger des Grundrechts aus Art. 13 GG sind neben natürlichen Personen auch juristische Personen und sonstige Personenvereinigungen des Privatrechts, und damit auch die Rechtsbeschwerdegegnerin zu 4) im Rahmen der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums (§ 10 Abs. 6 WEG). Auf dieser Grundlage ist das Gemeinschaftseigentum (§ 1 Abs. 5 WEG) betreffend die Rechtsbeschwerdegegnerin zu 4) im Umfang der begehrten Bauteilöffnungen an der Außentreppe, dem Flachdachanschluss einer Wohnung, im Eingangselement, der Decke des Fahrradkellers und der Tiefgaragendecke einer Duldungsanordnung nach § 144 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1 ZPO entzogen.
Es kommt nicht darauf an, ob der Sachverständige ausschließlich von außen Bauteilöffnungen vornehmen muss, da der Außenbereich ebenso wie der Innenbereich über Art. 13 GG geschützt wird. Soweit die Rechtsbeschwerde die Auffassung vertritt, aus der Rechtsprechung des BVerfG ergebe sich, Fahrradkeller, Tiefgaragen und Gemeinschaftsräume unterlägen nicht dem Schutzbereich des Art. 13 GG, ist das unzutreffend. Gegenstand dieser Entscheidung war ein Eingriff in den "absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung" durch akustische Überwachungsmaßnahmen. In diesem Zusammenhang hat das BVerfG die "Privatwohnung als letztes Refugium zur Wahrung der Menschenwürde" angesehen. Die Frage, ob Fahrradkeller, Tiefgaragen und Gemeinschaftsräume vom Schutzbereich von Art. 13 GG umfasst sind, stellte sich dort nicht.
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