14.03.2017

Zur Zumutbarkeit des Verweises eines Geschädigten auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt

Bei Fahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann der Verweis auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt insbesondere dann unzumutbar sein, wenn der Geschädigte konkret darlegt, dass er sein Fahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen und dies vom Schädiger nicht widerlegt wird. Ist ein über neun Jahre altes und bei dem Unfall verhältnismäßig leicht beschädigtes Fahrzeug zwar stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt repariert, dort aber in den letzten Jahren nicht mehr gewartet worden, ist der Verweis auf eine freie Fachwerkstatt nicht unzumutbar.

BGH 7.2.2017, VI ZR 182/16
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagte zu 1) sowie deren Haftpflichtversicherer, die Beklagte zu 2), auf Ersatz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall in Anspruch. Dabei wurde sein zum Unfallzeitpunkt rund neuneinhalb Jahre alter Mercedes Kombi 320 T (Laufleistung rd. 123.700 km) hinten rechts an der Heckklappe und am Spoiler durch einen Streifstoß beschädigt. Die Haftung der Beklagten (zu 70 %) steht außer Streit.

Die Parteien streiten noch über die Frage, ob sich der Kläger im Rahmen der fiktiven Abrechnung seines Fahrzeugschadens auf die niedrigeren Stundenverrechnungssätze der von der Beklagten zu 2) benannten, nicht markengebundenen Fachwerkstatt S verweisen lassen muss oder ob er auf der Grundlage des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt erstattet verlangen kann.

Nach dem vom Kläger eingeholten Sachverständigengutachten belaufen sich die erforderlichen Reparaturkosten unter Zugrundelegung der Verrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt auf rd. 3.550 € netto. Die Beklagte zu 2) legt ihrer Schadensberechnung die günstigeren Reparaturkosten der Fachwerkstatt S i.H.v. rd. 2.900 € netto zugrunde; streitgegenständlich sind somit noch rd. 450 € (70 % des Differenzbetrages). Der Kläger hat den Pkw während seiner seit dem Jahr 2006 andauernden Besitzzeit nur in markengebundenen Fachwerkstätten reparieren lassen.

Das AG gab der Klage teilweise statt und legte seiner Entscheidung dabei die niedrigeren Reparaturkosten der Fachwerkstatt S zugrunde. Das LG gab der Klage vollumfänglich statt und verurteilte die Beklagten zur Zahlung weiterer rd. 450 €. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung des Klägers gegen das Urteil des AG zurück.

Die Gründe:
Das AG hat seiner Entscheidung zu Recht die niedrigeren Reparaturkosten der Fachwerkstatt S zugrunde gelegt.

Der Geschädigte darf, sofern die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensberechnung vorliegen, dieser grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Allerdings kann der Schädiger den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt verweisen, wenn er darlegt und ggf. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen.

Unzumutbar ist eine Reparatur in einer freien Fachwerkstatt für den Geschädigten im Allgemeinen dann, wenn das beschädigte Fahrzeug im Unfallzeitpunkt nicht älter als drei Jahre war. Aber auch bei älteren Fahrzeugen kann die Frage Bedeutung haben, wo das Fahrzeug regelmäßig gewartet, "scheckheftgepflegt" oder ggf. nach einem Unfall repariert worden ist, da dies große Teil des Publikums dies nach wie vor als einen Qualitätsnachweis bewerten. In diesem Zusammenhang kann es dem Geschädigten unzumutbar sein, sich auf eine günstigere gleichwertige und ohne weiteres zugängliche Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt verweisen zu lassen, wenn er - zum Beispiel unter Vorlage des "Scheckheftes", der Rechnungen oder durch Mitteilung der Reparatur- bzw. Wartungstermine - konkret darlegt, dass er sein Fahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen und dies vom Schädiger nicht widerlegt wird.

Das LG hat bei der Prüfung der Frage, ob sich die Verweisung des Klägers auf die freie Fachwerkstatt S als unzumutbar darstellt, rechtsfehlerhaft auf dessen subjektive Sicht abgestellt. Es hätte vielmehr darauf abstellen müssen, ob es für einen ordentlichen und verständigen Menschen an der Stelle des Klägers unzumutbar gewesen wäre. Dies ist angesichts des vom LG festgestellten Vortrags des Klägers, demzufolge er zwar die Reparaturen, seit Februar 2008 aber nicht mehr die Inspektionen an seinem Fahrzeug in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat vornehmen lassen, nicht der Fall. Dabei kann dahinstehen, ob die Vornahme nicht "scheckheftrelevanter" Arbeiten am Fahrzeug wie eines Reifenwechsels oder eines Austausches der Scheibenwischblätter in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt im Schadensfall eine Verweisung auf eine freie Fachwerkstatt ermöglichen würde.

Denn vorliegend geht es nicht nur um Arbeiten dieser Art, sondern um Inspektionen über einen Zeitraum von fünf Jahren vor dem Unfall, von denen mangels konkreten Vortrags des Klägers nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie in einer markengebundenen Fachwerkstatt erfolgt sind. Dann aber hat der Kläger ersichtlich keinen Wert darauf gelegt, dass eine markengebundene Fachwerkstatt sein Fahrzeug regelmäßig wartet, weshalb er damit beispielsweise bei einem Verkauf seines Fahrzeugs nicht werben dürfte. Wenn aber seit Jahren keine Inspektionen mehr in einer markengebundenen Fachwerkstatt vorgenommen wurden, wird dies allein durch den Umstand, dass sämtliche Reparaturen dort ausgeführt wurden, bei einem rund neuneinhalb Jahre alten und verhältnismäßig leicht beschädigten Fahrzeug nicht derart aufgewogen, dass sich vorliegend die Unzumutbarkeit des Verweises auf eine Reparatur in der Fachwerkstatt S begründen ließe.

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