16.01.2017

Zurechnung eines Unfallschadens bei Verkehrsunfällen ohne Berührung

Die bloße Anwesenheit eines Fahrzeugs in der Nähe der Unfallstelle stellt keinen die Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG begründenden Tatbestand dar. Bei einem Unfall ohne Berührung ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebes eines Kfz (hier: ein Motorrad) zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat.

BGH 22.11.2016, VI ZR 533/15
Der Sachverhalt:
Der Kläger befuhr im Frühjahr 2011 auf seiner Ducati S 2 eine Bundesstraße in Ostwestfalen unterwegs, wobei er dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Motorrad der Beklagten zu 1) folgte. Die Beklagte zu 1) überholte unter Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn den Pkw des Zeugen B. Der Kläger wollte sowohl die Beklagte zu 1) als auch den Pkw überholen. Er fuhr weiter außen auf der Gegenfahrbahn und geriet, ohne dass es zu einer Fahrzeugberührung gekommen wäre, in das Bankett. Dort verlor er die Kontrolle, stürzte und verletzte sich schwer.

Der Kläger behauptete später, er habe die noch hinter dem Pkw des Zeugen B. fahrende Beklagte zu 1) fast schon überholt gehabt, als diese plötzlich ohne Schulterblick und Blinksignal nach links ausgeschert sei, und den Kläger zu einem kontinuierlichen Ausweichen nach links gezwungen habe. Die Beklagten hielten dagegen, die Beklagte zu 1) habe ordnungsgemäß den Pkw des Zeugen B. überholt und sei kurz vor dem Einscheren nach rechts von dem Kläger in zweiter Reihe verkehrsordnungswidrig überholt worden. Dabei sei er dem linken Fahrbahnrand zu nahe gekommen, ohne dass die Fahrweise der Beklagten zu 1) dazu Veranlassung gegeben habe.

Das LG stellte die Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu 50 % fest. Das OLG wies die Klage insgesamt ab. Auf die Revision der Kläger hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Zwar stellt die bloße Anwesenheit eines Fahrzeugs in der Nähe der Unfallstelle keinen die Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG begründenden Tatbestand dar. Dies gilt vor allem auch für ein Motorrad, das unmittelbar vor dem Unfall ein vor ihm fahrendes Auto überholt und von einem anderen Motorrad in zweiter Reihe überholt wird. Allerdings erwies sich die Auffassung des OLG, ein die Haftung begründendes plötzliches Ausscheren der Beklagten könne aufgrund der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, als fehlerhaft.

Das Berufungsgericht war davon ausgegangen, dass das Fahrverhalten des Klägers durch die Beklagte zu 1) in keiner Weise beeinflusst worden sei. Dabei hatte es indes den Prozessstoff und die Beweisergebnisse nicht ausgeschöpft. Insbesondere hatte es eine wesentliche Aussage des Sachverständigen unbeachtet gelassen. Der vom LG beauftragte Sachverständige war zu dem Ergebnis gelangt, die Spurenlage am Unfallort lasse ein Ausweichmanöver des Klägers aus dem linken Randbereich der Gegenfahrbahn weiter nach links mit einer Notbremsung erkennen. Vor diesem Hintergrund durfte das Berufungsgericht nicht ohne ergänzende Beweisaufnahme zu einer anderen Würdigung gelangen als das LG, das ein die Haftung begründendes Ausscheren der Beklagten bejaht hatte. Dies galt umso mehr, als die aus der Sicht des Berufungsgerichts entscheidungserhebliche Frage des Vorliegens eines Ausweichmanövers in erster Instanz weder für den Sachverständigen noch für das Gericht von maßgeblicher Bedeutung gewesen war.

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