22.01.2016

Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst verstößt nicht gegen EU-Recht

Eine Regelung in einem Tarifvertrag (hier: TV-L), wonach nur die Berufserfahrung aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber bei der Stufenzuordnung in vollem Umfang angerechnet wird, verstößt nicht gegen den Grundsatz der Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV. Eine solche Tarifnorm soll die Arbeitnehmer begünstigen, die sich arbeitgebertreu verhalten. Dieses Ziel rechtfertigt die ungleiche Behandlung von Vorbeschäftigungszeiten bei demselben und bei einem anderen Arbeitgeber.

LAG Baden-Württemberg 18.1.2016, 1 Sa 17/15
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist bei dem beklagten Land Baden-Württemberg als Schulpsychologe beschäftigt. Vor Aufnahme dieser Tätigkeit war er mehr als elf Jahre lang als Psychologe bei verschiedenen privaten Trägern von Behinderteneinrichtungen beschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung. Hiernach bestimmt sich die Höhe des Arbeitsentgelts einerseits nach der Entgeltgruppe, in die der Beschäftigte eingruppiert ist, und andererseits nach der für ihn geltenden Berufserfahrungsstufe. Verfügen Beschäftigte über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber, erfolgt die Stufenzuordnung unter (voller) Anrechnung dieser Zeiten. Ist die einschlägige Berufserfahrung in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, so erfolgt eine Anrechnung maximal bis zur Stufe 3.

Der Kläger wurde unter teilweiser Anrechnung seiner vorherigen Berufserfahrungszeiten in die Entgeltgruppe 13 Stufe 3 eingruppiert. Bei voller Anrechnung seiner Berufserfahrungszeiten wäre er dagegen der Stufe 5 zugeordnet worden. Dies machte eine Differenz von nahezu 700 Euro brutto aus. Mit seiner Klage verlangte er unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH seine Einstufung in die Stufe 5. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt; das LAG wies sie ab, ließ aber wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Revision zum BAG zu.

Die Gründe:
Das beklagte Land muss den Kläger nicht nach Maßgabe der Stufe 5 der Entgeltgruppe 13 entlohnen.

Der EuGH hat zwar mit Urteil vom 5.12.2013 (Rs. C-514/12) in einem Rechtsstreit nach österreichischem Recht entschieden, dass es gegen die Gewährleistung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union nach Art. 45 AEUV verstößt, wenn der (öffentliche) Arbeitgeber die bei ihm zurückgelegten Dienstzeiten in vollem Umfang, alle anderen Dienstzeiten dagegen nur teilweise bei der Berechnung des Dienstalters berücksichtigt.

Die hier maßgebliche Norm des TV-L ist aber mit der österreichischen Regelung nicht vergleichbar. Denn anders als diese bevorzugt die deutsche Tarifnorm ausschließlich diejenigen Arbeitnehmer, die - von einer Unterbrechungszeit von maximal sechs Monaten abgesehen - durchgehend beim selben Arbeitgeber ihre Berufserfahrung erworben haben. Die Tarifnorm soll damit die Arbeitnehmer begünstigen, die sich arbeitgebertreu verhalten. Diese Zwecksetzung stellt einen anerkennenswerten Grund für die vorgenommene Differenzierung dar.

Der Hintergrund:
Das LAG Baden-Württemberg hat damit dieselbe Rechtsauffassung vertreten wie das LAG Berlin-Brandenburg in zwei Parallelfällen. Eine endgültige Klärung wird erst eine Entscheidung des BAG bringen. Die Chancen hierfür stehen gut, da in allen Verfahren die Revision zum BAG zugelassen worden ist.

LAG Baden-Württemberg PM vom 19.1.2015
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