17.07.2023

Anreisezeit bei Rufbereitschaft - Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruch

Weist das Arbeitsgericht den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs rechtskräftig zurück, steht damit endgültig fest, dass der Spruch wirksam ist.  Die Verbindlichkeit der formell rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung zur Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs ist unabhängig davon, ob in dem Wirksamkeitsprüfungsverfahren alle Unwirksamkeitsgründe thematisiert worden sind.

LAG Berlin-Brandenburg v. 23.6.2023 - 12 TaBV 638/22
Der Sachverhalt:
Die Arbeitgeberin betreibt ein städtisches Krankenhaus. Sie hatte mit dem Betriebsrat darüber gestritten, ob sie es zu unterlassen habe, für bestimmte Rufbereitschaftsdienste von Fachärzten eine Höchstzeit zwischen Abruf und Verfügbarkeit am Patienten von 30 Minuten vorzugeben. Das Arbeitsgericht hat den Unterlassungsantrag abgewiesen. Es war der Ansicht, das einschlägige Mitbestimmungsrecht wegen der Arbeitszeit umfasse zwar die Aufstellung von Rufbereitschaftsplänen, nicht aber die inhaltliche Ausgestaltung der Rufbereitschaft. Außerdem sei die Rufbereitschaft durch Tarifvorschrift abschließend geregelt. Nach EuGH-Rechtsprechung sei eine dreißigminütige Anrückzeit nicht zu beanstanden.

Auf die Beschwerde des Betriebsrats hat das LAG den Beschluss abgeändert und dem Antrag stattgegeben.

Die Gründe:
Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, die Anweisung zu unterlassen, weil sie mit der darin enthaltenen einseitigen Vorgabe einer Anrückzeit, die nicht für alle Anwendungsfälle gesichert angemessen ist, den Anspruch des Betriebsrates auf Durchführung der Betriebsvereinbarung verletzt.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch besteht als Durchführungsanspruch aus der rechtskräftig als wirksam festgestellten Regelung zur angemessenen Anrückzeit aus der BV Arbeitszeit Ärzte, wie sie von der Anweisung nicht in allen Anwendungsfällen sicher beachtet wird. Voraussetzung des Durchführungsanspruchs ist, dass die Betriebsvereinbarung wirksam ist. Vorliegend war die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung einschließlich der Regelung zur Rufbereitschaft durch den rechtskräftigen Beschluss des Arbeitsgerichts festgestellt worden. Infolgedessen war den Fragen nach einer Überschreitung der Mitbestimmungspflicht bei der Bestimmung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit nach § 87 Absatz 1 Nr. 2 BetrVG und einer Verletzung des Tarifvorrangs im Hinblick auf die im Tatbestand wiedergegebene Tarifvorschrift nicht nachzugehen.

Weist das Arbeitsgericht den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs rechtskräftig zurück, steht damit endgültig fest, dass der Spruch wirksam ist.  Die Verbindlichkeit der formell rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung zur Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs ist unabhängig davon, ob in dem Wirksamkeitsprüfungsverfahren alle Unwirksamkeitsgründe thematisiert worden sind. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn in dem Einigungsstellenspruch wegen Fehlen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats und einer beidseitigen Unterwerfung oder nachträglichen Annahme des Einigungsstellenspruchs seitens Betriebsrat und Arbeitgeber eine Regelung nicht hätte ergehen dürfen.

Aus dem Durchführungsanspruch kann der Betriebsrat die Unterlassung der Anweisung beanspruchen. In der BV ist geregelt, dass die Beschäftigten während der Rufbereitschaft telefonisch erreichbar und in der Lage sein müssen, ihre Arbeitszeit innerhalb einer für die notwendige Patientenversorgung angemessenen Zeit aufzunehmen. Diese Regelung hat die Arbeitgeberin auch auf die beschäftigten Fachärzte anzuwenden. Hiervon abweichende Anweisungen darf sie nicht erteilen und dementsprechend auch keine nicht angemessenen Anrückzeiten dienstlich anweisen. Der Feststellung eines groben Verstoßes gegen Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz, wie er Voraussetzung für den Unterlassungsanspruch aus § 23 Absatz 3 BetrVG ist, bedarf es für den Unterlassungsanspruch wegen Verletzung der Durchführungspflicht in Bezug auf Betriebsvereinbarungen nicht. An der generellen Angemessenheit einer Anrückzeit von dreißig Minuten bis zur Verfügbarkeit am Patienten bestehen im Hinblick darauf, dass somit Wege- und Rüstzeiten auch auf dem Gelände des und im Krankenhaus von den dreißig Minuten umfasst sein sollen, durchgreifende Bedenken.

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Kurzbesprechung
EuGH: Berechnung der täglichen und wöchentlichen Ruhezeit
ArbRB 2023, 97

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