31.08.2023

Antrag auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte während des Kündigungsprozesses nicht mutwillig

Eine nicht bemittelte Partei darf in der Regel im Rahmen eines Kündigungsprozesses auch einen Antrag auf Entfernung einer Abmahnung aus ihrer Personalakte stellen, ohne dass ihr dieses Prozessverhalten als mutwillig angelastet und ihr deshalb für diesen Antrag die Prozesskostenhilfe mit der Begründung versagt werden darf, sie hätte erst den Ausgang des Kündigungsprozesses abwarten müssen.

LAG Baden-Württemberg v. 28.8.2023 - 15 Ta 9/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger erstrebt mit seiner sofortigen Beschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klageanträge Nr. 3 und Nr. 4. Diese richten sich auf Entfernung zweier Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers, weil diese Abmahnungen in der Sache unberechtigt seien. Für die Klageanträge Nr. 1 und Nr. 2 hatte das ArbG dem Kläger ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm seinen Prozessbevollmächtigten beigeordnet. Klageantrag Nr. 1 richtete sich auf die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 29.3.2023, noch durch deren hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom selben Tage zum nächstzulässigen Zeitpunkt beendet werde. Klageantrag Nr. 2 war eine allgemeine Feststellungsklage. Mit Klageantrag Nr. 5 erstrebte der Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis.

Der Rechtsstreit endete durch einen im Gütetermin geschlossenen Vergleich, nachdem die Beklagte von der ihr eingeräumten Widerrufsfrist keinen Gebrauch gemacht hatte. Das ArbG gab dem Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung teilweise statt, nämlich für die Bestandsschutzanträge Nr. 1 und Nr. 2. Für die übrigen drei Klageanträge wies es den Antrag wegen Mutwilligkeit zurück. Mit der sofortigen Beschwerde greift der Kläger ausschließlich die Versagung der Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für seine Klageanträge Nr. 3 und Nr. 4 an. Das ArbG half der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte sie dem LAG zur Entscheidung vor.

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers änderte das LAG den Beschluss des ArbG ab, bewilligte dem Kläger für seine Anträge Nr. 3 und Nr. 4 Prozesskostenhilfe und ordnete ihm einen Rechtsanwalt bei. Die Rechtsbeschwerde zum BAG wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die vom Kläger mit seinen Klageanträgen Nr. 3 und Nr. 4 beabsichtigte Rechtsverfolgung bot hinreichende Aussicht auf Erfolg und war entgegen der Auffassung des ArbG nicht mutwillig.

Die beiden Klageanträge sind insbesondere nicht mutwillig i.S.v. § 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO. Während die hinreichende Aussicht auf Erfolg die materielle Begründetheit des Anspruchs betrifft, wird von der Frage der Mutwilligkeit in erster Linie die verfahrensmäßige Geltendmachung des Anspruchs betroffen. Mutwillig ist eine Rechtsverfolgung in der Regel dann, wenn eine wirtschaftlich leistungsfähige, also nicht bedürftige Partei bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde oder sogar von der Rechtsverfolgung Abstand nehmen würde.

Es ist nicht als mutwillig anzusehen, wenn ein Arbeitnehmer, der sich im Wege der Klage gegen eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung wendet, im Wege der objektiven Klagehäufung gleichzeitig oder nachträglich durch Klageerweiterung zugleich die Entfernung einer oder mehrerer Abmahnungen aus der Personalakte verlangt, weil diese in der Sache unberechtigt seien. Die für die gegenteilige Ansicht angeführten Argumente des ArbG überzeugen nicht. Die These, es sei ausreichend, zunächst den Ausgang des Kündigungsprozesses abzuwarten, verkennt die Bedeutung der zusätzlichen Dauer der möglichen Rechtsverletzung.

Diese nicht unwahrscheinliche Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts müsste nach der Ansicht des ArbG die unbemittelte Partei infolge der Versagung der Prozesskostenhilfe besonders lange hinnehmen. Dafür gibt es keinen nachvollziehbaren Grund. Unabhängig davon ist es keineswegs höchstwahrscheinlich, dass sich das berechtigte Rechtsschutzinteresse des Klägers durch bloßes Abwarten des Ausgangs des Kündigungsschutzprozesses erledigen wird. Für eine begründete Erwartung im vorliegenden Einzelfall des Inhalts, dass die Beklagte die Abmahnungen im Falle des Obsiegens des Klägers im Bestandsschutzverfahren ohnehin, ohne den Druck eines hierauf gerichteten Gerichtsverfahrens, aus der Personalakte genommen hätte, gibt es keine Anhaltspunkte. Insbesondere hat die Beklagte Derartiges nicht angekündigt.

Überdies bestehen auch allgemein keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Partei, die ihren Prozess selbst finanziert, von der Stellung von Anträgen auf Herausnahme von Abmahnungen aus der Personalakte im Kündigungsprozess in aller Regel absieht und erst den Prozessausgang abwartet. Ein derartiges, generelles Arbeitnehmerverhalten entspricht ebenfalls keinem Erfahrungssatz. Im Ergebnis erweist sich die Einbeziehung von Anträgen auf Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte in den Kündigungsprozess nicht von vornherein und in aller Regel als ein Verstoß gegen das Gebot kostensparender Verfahrensführung. Im Gegenteil entspricht sie in vielen Fällen im Endeffekt sogar diesem Gebot, weil sie die durch getrennte Prozesse drohenden höheren Kosten vermeidet.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Prozesskostenhilfe im Arbeitsgerichtsverfahren
Michael H. Korinth, ArbRB 2020, 92

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