11.10.2021

Arbeitslohn trotz Quarantäne

Das ArbG Dortmund entschied zugunsten eines Arbeitnehmers, dass die wegen der Quarantäne ausgefallene Arbeitszeit nicht von dessen Arbeitszeitskonto abzuziehen sei. Entscheidend stellte es darauf ab, dass die Quarantäneanordnung vom Arbeitgeber - und nicht von der zuständigen Gesundheitsbehörde - ausgesprochen worden war.

ArbG Dortmund v. 24.11.2020 - 5 Ca 2057/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger hielt sich vom 11.3.2020 bis 15.3.2020 in einer Ferienwohnung mit Selbstverpflegung in Tirol in Österreich auf. Am 16.3.2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er solle zwei Wochen zuhause bleiben und in Quarantäne gehen, da Tirol am 13.3.2020 vom RKI als Risikogebiet aufgelistet worden sei. Später wurden dem Kläger für diese Quarantäne-Zeit ca. 63 Stunden von seinem Arbeitszeitskonto abgezogen.

Das ArbG gab der Klage statt, die darauf gerichtet war, die abgezogenen Stunden dem Arbeitszeitskonto wieder gutzuschreiben.

Die Gründe:
Der Kläger hat einen Anspruch auf Gutschrift der dem Arbeitszeitskonto abgezogenen Stunden aus dem zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrag i.V.m. den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre i.V.m. § 615 S. 1 u. 3 BGB.

Nach § 615 S. 3 BGB kann der Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung nämlich auch dann verlangen, wenn die Arbeit ausfällt und der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber seinen Betrieb beispielsweise aus Gründen, die in seinem betrieblichen oder wirtschaftlichen Verantwortungsbereich liegen, einschränkt oder stilllegt.

Dies bedeutet, dass im Fall einer Quarantäneanordnung der Arbeitgeber nach den Grundsätzen der gesetzlichen Risikoverteilung nur dann nach §§ 275, 326 Abs. 1 BGB von der Verpflichtung zur Zahlung der Vergütung frei wird, wenn die zuständige Gesundheitsbehörde beispielsweise eine Betriebsschließung oder eine Quarantäne einzelner Arbeitnehmer anordnet.

Eine behördliche Anordnung der Quarantäne ggü. dem Kläger durch das zuständige Gesundheitsamt war im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Beschließt ein Arbeitgeber aus eigenem Antrieb, seinen Betrieb zu schließen oder einen oder mehrere Arbeitnehmer zum Schutz der sonstigen Belegschaft in Quarantäne zu schicken, trägt er nach den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre das Vergütungsrisiko. Dies gilt nach den dem Rechtsgedanken des § 615 S. 3 BGB entnommenen Grundsätzen selbst dann, wenn die Störung - wie im Fall des Coronavirus SARS-CoV-2 - nicht aus einer vom Arbeitgeber beeinflussbaren Gefahrensphäre stammt (vgl. BAG v. 9.7.2008 - 5 AZR 810/07). Eine andere Risikoverteilung ist nur dann denkbar, wenn der Arbeitgeber mit der Anordnung der Quarantäne oder Betriebsschließung nichts zu tun hat und diese durch die zuständige Gesundheitsbehörde vorgenommen wird.

Anderes kann nur dann gelten, wenn der Arbeitnehmer, worauf die Beklagte wohl abstellen will, quasi sehenden Auges entgegen einer Einstufung des RKI ein Risikogebiet aufsucht, um dort Urlaub zu machen. Nach der Gefahrenspährentheorie wäre in solchen Fällen zumindest ein Überwiegen der Verantwortlichkeit des Arbeitnehmers anzunehmen, das möglicherweise dazu führt, dass er das Vergütungsrisiko für den Arbeitsausfall zu tragen hätte. Eine solche Konstellation lag hingegen im vorliegenden Fall nicht vor, da am 11.3.2020, dem Reisebeginn nach Tirol, zwar Diskussionen über Aufenthalte und Reisen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland schon geführt worden sind, das RKI hingegen gerade Tirol zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Risikogebiet eingestuft hatte. Darüber hinaus wäre in diesen Fällen auch die Form des Aufenthalts zu berücksichtigen. Eine Ferienwohnung mit Selbstversorgung bietet in solchen Fällen deutlich weniger Infektionsrisiko als beispielsweise der Aufenthalt in einem stark frequentierten Hotel oder einem Gasthof.
Justiz NRW online
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