04.08.2020

Außerordentliche Kündigung - Umfang der notwendigen Unterrichtung des Betriebsrats

Die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gehört nicht zu den "Gründen für die Kündigung" iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, über die der Arbeitgeber den Betriebsrat unterrichten muss.

BAG v. 7.5.2020 - 2 AZR 678/19
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung. Der Kläger war bei der Beklagten seit 1982 als Konstruktionsingenieur beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag nimmt Bezug auf die jeweils für den Betrieb geltenden Tarifverträge für die Angestellten der Metallindustrie.

Mit Schreiben vom 7.3.2018 kündigte die Beklagte nach Anhörung und Zustimmung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2018.

Der Kläger erhob rechtzeitig Klage. Es bestehe kein Kündigungsgrund. Die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt und den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört. Eine ordentliche Kündigung sei ausgeschlossen gewesen.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Das BAG hat das Urteil nach Revision der Beklagten aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Gründe:
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das LAG ihre Berufung gegen das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil nicht zurückweisen. Ob diese Kündigung wirksam ist, kann der Senat nicht selbst abschließend entscheiden. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Die Kündigung ist nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte musste den Betriebsrat weder über einen Sonderkündigungsschutz unterrichten noch weitere Ausführungen zur Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB machen.

Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG reicht nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess. Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich vielmehr nach Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts. Dieser besteht darin, den Betriebsrat durch die Unterrichtung in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe beurteilen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige - objektive - Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung ermöglichen.

Danach musste die Beklagte den Betriebsrat im Hinblick auf die vorrangig beabsichtigte außerordentliche fristlose Kündigung nicht darüber unterrichten, dass der Kläger - möglicherweise - einen besonderen Kündigungsschutz genoss. Ungeachtet der Frage, ob ein solcher überhaupt zu den "Gründen für die Kündigung" iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gehören kann, muss ein Arbeitgeber, der außerordentlich fristlos kündigen möchte, dem Betriebsrat jedenfalls nicht mitteilen, dass dem Arbeitnehmer ein Sonderkündigungsschutz zukommt, der - wie § 20 Nr. 4 und Nr. 5 des Einheitlichen Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie in NRW vom 18.12.2003 (EMTV) - zwar eine ordentliche Kündigung weitgehend ausschließt, die Möglichkeit einer "fristlosen" Kündigung aber ausdrücklich "unberührt" lässt. Dem Betriebsrat werden insoweit keine Einwände abgeschnitten. Er kann der Absicht einer außerordentlichen fristlosen Kündigung in beiden Fällen (ordentliche Kündbarkeit und ordentliche Unkündbarkeit) gleichermaßen entgegensetzen, dem Arbeitgeber sei es zuzumuten, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kündigungsfrist "real" (ordentliche Kündbarkeit) oder "fiktiv" (ordentliche Unkündbarkeit) ist. Neben der Sache liegt der Einwand des Klägers, der Betriebsrat müsse von einem tariflichen Sonderkündigungsschutz wissen, um beurteilen zu können, ob ein förmlicher Widerspruch nach § 102 Abs. 3 BetrVG in Betracht komme. Diese Möglichkeit ist ihm in Bezug auf eine beabsichtigte außerordentliche fristlose Kündigung - nicht eine solche mit notwendiger Auslauffrist - in jedem Fall verschlossen.

Die Anhörung des Betriebsrats war auch nicht im Hinblick auf die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB fehlerhaft. Die Wahrung der Ausschlussfrist gehört nicht zu den "Gründen für die Kündigung" iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Deshalb muss der Arbeitgeber hierzu keine gesonderten Ausführungen machen. Ein solches Erfordernis überdehnte die Zwecke des Anhörungsverfahrens. Es liefe darauf hinaus, dem Gremium die - objektive - Überprüfung der Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung zu ermöglichen.

Das bedeutet allerdings zum einen nicht, dass der Arbeitgeber nicht angeben müsste, wann der Kündigungssachverhalt sich zugetragen hat. Nur so wird es dem Betriebsrat ermöglicht, die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu beurteilen und sich über sie eine eigene Meinung zu bilden. Zum anderen dürfen dem Betriebsrat mögliche - durch das Gesetz nicht inhaltlich begrenzte - Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung nicht - gezielt - abgeschnitten werden. Das gilt auch für den möglichen Einwand, eine außerordentliche Kündigung sei aus Sicht des Gremiums verfristet. Soweit der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat (freiwillig) Angaben macht, die für die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB von Bedeutung sind, müssen diese wahrheitsgemäß erfolgen. Diesen Anforderungen werden die Anhörungsschreiben vorliegend gerecht. Sie enthalten die erforderlichen Angaben darüber, zu welchem Zeitpunkt sich der Kündigungssachverhalt ereignet haben soll.

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